17.12. – Kein Tag wie jeder andere


Wir erinnern an den Internationalen Tag gegen Gewalt an Sexarbeitenden – und kreiden an!

Belästigung, Demütigung, Prügel, soziale Kontrolle, sexuelle Nötigung, Stalking oder Vergewaltigung: Gewalt hat viele Gesichter, doch alle Formen haben eines gemeinsam: sie kommen überall, in jedem Lebensalter und in allen Gesellschaftsschichten vor: Es gibt sie nicht nur abends auf einer Party oder in dunklen Gassen. Sie ist im Haus nebenan, auf offener Straße, am helllichten Tag, auf der Arbeit, im Netz und im eigenen Zuhause. Neben anderen Betroffenen, werden insbesondere Frauen mit Gewalt konfrontiert. Und anders, als oft diskutiert, kann es jeder passieren: auch der Mutter, Karrierefrau, der Studierenden oder Chefin. Folgende Zahlen zeichnen ein bitteres Bild:

  • Laut dem Bundesministerium für Familie, Senior:innen, Frauen und Jugend (BFSFJ) erfährt in Deutschland jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt
  • Pro Stunde betrifft dies 13 Frauen
  • Jede vierte Frau erlebt die eigene Beziehung als Tatort: 2021 wurden insgesamt 115.342 Fälle von Gewalt gegen Frauen in der Beziehung registriert, wie das BKA kürzlich in der kriminalistischen Auswertung zur Partnerschaftsgewalt veröffentlichte.

Diese Zahlen allein erschrecken – die Dunkelziffer wird jedoch noch weitaus höher geschätzt, denn viele dieser Gewalttaten werden häufig nicht zur Anzeige gebracht. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und reichen von Angst vor weiteren, daraus resultierenden Aggressionen über Scham, Schuldgefühle bis hin zum verlorenen Glauben an die Gerechtigkeit.

Aktionen gegen Gewalt an Frauen: One Billion Rising am 14.02., der Weltfrauentag am 08.03. oder der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ am 25.11., machen alljährlich auf diese und andere geschlechtsspezifische Missstände aufmerksam. In diesem Zusammenhang findet sich jedoch noch ein weiterer Aktionstag, der allerdings weniger Beachtung findet: der 17.12. ist der internationale Tag zur Beendigung von Gewalt an Sexarbeitenden. Der Ursprung dieses Tages ist so tragisch wie aufrüttelnd: Er liegt im Jahr 2003, an dem an die Opfer von Gary Ridgway gedacht wurde, der in den 80ern aus purem Hass dutzende Sexarbeitende tötete. Dabei nutzte er die mit der Tätigkeit einhergehende Verletzlichkeit sowie Schutzlosigkeit aus, die seine Gräueltaten erst ermöglichten.

Auch die geringe Aufmerksamkeit erweitert den Raum für Gewalt: In der Studie zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ des BSFSJ, wurden u.a. Sexarbeiterinnen zu ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt (valide Daten über Personen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten und sich einer anderen Geschlechtsidentität als der weiblichen zuordnen, wurden nicht erhoben und können daher an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden). Die am häufigsten genannte Gruppe, von der körperliche und sexuelle Gewalt ausgeht, waren die männlichen Beziehungspartner, so wie es bei den meisten Betroffenen von Gewalt ist. An zweiter Stelle wurden die Kunden genannt (hier wird bewusst auf das Gendern verzichtet, da sexuelle Dienstleistungen überwiegend von männlichen Kunden in Anspruch genommen werden). 41 % der Befragten gaben zudem an, bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt im Kontext sexueller Dienstleistungen erlebt zu haben. Weiter wurde in diesem Zusammenhang ein geringes Sicherheitsgefühl genannt und die Angst vor körperlichen und sexuellen Übergriffen in der Beziehung, durch Kunden, aber auch durch Unbekannte, Zuhälter:innen und Arbeitskolleg:innen.

In diesem Arbeitsfeld kommt neben den schon bekannten Faktoren, die Gewalt begünstigen, noch ein verschärfender hinzu: Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, befinden sich in einem Milieu, das nicht nur am Rande der Gesellschaft stattfindet und dadurch weniger Aufmerksamkeit erhält, sondern nach wie vor auch von Stigmatisierung und Tabuisierung gekennzeichnet ist. Daher kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere hier ein Großteil an Gewalttaten weder erfasst noch strafrechtlich verfolgt wird.

Sexarbeitende haben dasselbe Recht auf Unversehrtheit und ein gewaltfreies Leben, wie alle anderen! In diesem Zusammenhang ist zu unterstreichen, dass die Ausübung von Gewalt auch in dieser Branche nicht üblicherweise und selbstverständlich „erkauft“ werden kann.Die Tatsache, sexuelle Dienstleistungen zu erbringen, darf nicht zu der Überzeugung führen, mit Gewalt leben und sie ertragen zu müssen oder sie gar selbstverschuldet zu haben – Weder in der Gesellschaft noch bei den Kunden oder den Betroffenen selbst.

Umso wichtiger ist es also, ein Zeichen zu setzen und sich zu solidarisieren. Der 17.12. steht dabei nicht nur für die Beendigung der Gewalt, sondern ebenso für das Ende der Kriminalisierung, der Diskriminierung und der gesellschaftlichen Marginalisierung von Sexarbeitenden, die eben diese Gewalt begünstigen.

Und wie?! Wer auf die Forderungen und Missstände aufmerksam machen möchte, kann das auf verschiedenen Wegen tun: Über die Thematik zu sprechen und andere zu informieren, stellt häufig schon einen Anfang dar, um das vermeintliche „Tabu“ zu brechen und zu reduzieren. Zum anderen dient am 17.12. ein roter Regenschirm als Symbol, der als Zeichen der Solidarität mit sich geführt werden kann und ein Statement gegen Gewalt an Sexarbeitenden darstellt. Weiter engagieren sich einige Organisationen, die selbst immer wieder auf Unterstützung angewiesen sind. In Münster haben wir uns mit dem „Projekt Marischa“ zum Ziel gemacht, Respekt und Toleranz für die Menschen in diesem Arbeitsfeld zu schaffen. Dies geht damit weit über die Hilfe bei Gewalttaten hinaus. Die vertrauliche und wertschätzende Unterstützung reicht dabei unter anderem von der niederschwelligen Beratung in gesundheitlichen Fragen über soziale Aufklärungsarbeit bis hin zur Begleitung zu sozialen Institutionen und der direkten Hilfestellung in Notlagen. Fachliche Unterstützung findet unser aus Ehrenamtlichen bestehendes Projekt durch zwei hauptamtliche Mitarbeitende der Stadt Münster. Für alle Interessierten lohnt sich ein Klick durch unsere Internetseiten, um weitere Informationen zu unserer Tätigkeit oder zum Arbeitsfeld selbst zu erhalten. Darunter finden sich auch Möglichkeiten der Unterstützung durch beispielsweise ein ehrenamtliches Engagement oder die Mitfinanzierung dieser wichtigen Arbeit durch Spenden. Für größere Besorgungen und schnelle unbürokratische Hilfe im Einzelfall wird immer wieder finanzielle Hilfe benötigt. Durch eine Spende kann hier wertvolle Hilfe geleistet werden, die auch genau dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Wer sich angesprochen fühlt, wer mag und kann, ist eingeladen, ein Teil von „Projekt Marischa“ zu werden.

Empfänger: Förderverein Marischa, IBAN: DE53 8306 5408 0005 2432 03, BIC: GENODEF1SLR, Verwendungszweck: Projekt Marischa

Quellen

Prävalenzstudie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.“: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/94200/d0576c5a115baf675b5f75e7ab2d56b0/lebenssituation-sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland-data.pdf

BKA – Partnerschaftsgewalt. Kriminalistische Auswertung (2021):https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Partnerschaftsgewalt/Partnerschaftsgewalt_2021.html?nn=63476