Städtepartnerschaft

Ein Überblick

Vorbemerkung

Im Jahr 2000 feierten wir das 1000-jährige Jubiläum der deutsch-polnischen Beziehungen, das mit der Begegnung von Kaiser Otto III. und Herzog Boleslaw dem Tapferen in Gnesen im Jahr 1000 begann. Die Geschichte zwischen Polen und Deutschland ist lang und wechselvoll. In der Gnesener Millenniumsbotschaft im März 2000 betonen die Präsidenten mehrerer Länder, dass der aktuelle Beziehungsstand zeigt, dass auch schwierige Kapitel überwunden werden können, wenn der Wille zur Versöhnung, Partnerschaft und guter Nachbarschaft vorhanden ist. Städtepartnerschaften sind das Fundament für die Verständigung zwischen Staaten und Völkern. Das vertrauensvolle deutsch-polnische Verhältnis sollte auf menschlichen Kontakten basieren, und die Städtepartnerschaft zwischen Lublin und Münster bietet eine gute Grundlage dafür.



Entstehung der Städtepartnerschaft

Münster und Lublin, vergleichbare historische Hochschulstädte mit reichem Kulturangebot und Bischofssitz, hatten schon vor der offiziellen Partnerschaft regelmäßige Verbindungen. Diese wurden durch Institutionen wie die katholische Sozialakademie Franz-Hitze-Haus und Kontakte zwischen der Katholischen Universität Lublin und dem Institut für christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster gepflegt. Die offizielle Städtepartnerschaft entstand zufällig, als Dr. Stanislaw Ciesla 1990 in Münster an einer Podiumsdiskussion teilnahm, zu der auch Ruprecht Polenz eingeladen war. Dr. Ciesla und Herr Polenz entdeckten Gemeinsamkeiten zwischen Lublin und Münster. Angeregt durch die Frage von Herrn Polenz nach einer Partnerstadt für Lublin, entstand die Idee einer Partnerschaft. Nach einem Ältestenrats-Beschluss folgten Kontakte zwischen den Stadtverwaltungen. Die einstimmige Zustimmung der Räte von Lublin und Münster führte zur Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde am 30. November 1991 im historischen Friedenssaal des Rathauses in Münster.



Ich zitiere aus dem Bericht einer Augenzeugin

Die Partnerschaftsurkunde betont die Förderung selbstorganisierter Austausche in Schulen, Hochschulen, Kultur, Jugend, Sport und Medien. Die Grundphilosophie hebt bürgerschaftliche, private Kontakte in den Mittelpunkt. Die Aufnahme von Rishon le-Zion in die Städtepartnerschaft mit Lublin und Münster im Oktober 1992 unterstreicht diese Idee. Der Förderverein Münster - Lublin e.V., gegründet im November 1992, unterstützt bürgerschaftliches Engagement und ermöglicht eigenverantwortliche Gestaltung der Partnerschaft. Die Satzung des Vereins betont die Verständigung zwischen Polen und Deutschen, insbesondere durch Förderung vielseitiger Kontakte im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Münster, Lublin und Rishon le-Zion.



In der Partnerschaftsurkunde heißt es u. a.:

"Die Städtepartnerschaft soll besonders den selbstorganisierten Austausch in den Bereichen Schulen, Hochschulen, Kultur, Jugend, Sport und den Medien fördern. Es ist deshalb das Anliegen beider Städte, besonders bürgerschaftliche Organisationen zu unterstützen, die freie Vereinbarungen zum gegenseitigen Kennenlernen und Austausch in den verschiedenen Bereichen treffen können." Diesen Passus aus der Urkunde zitiere ich, weil er die Grundphilosophie der Städtepartnerschaft beschreibt und - auch für die schon bestehenden städtepartnerschaftlichen Beziehungen der Stadt Münster - einmalig ist: Die Urkunde stellt den Vorrang bürgerschaftlicher, privater Kontakte und Beziehungen in den Mittelpunkt der Städtepartnerschaft. Im Oktober 1992 wurde auch Rishon le-Zion, die israelische Partnerstadt Münsters, mit in die bestehende Städtepartnerschaft zwischen Lublin und Münster aufgenommen. Die Leitidee der Städtepartnerschaft hat auch in der Gründung des Fördervereins Münster - Lublin e.V. am 30. November 1992 ihren Niederschlag gefunden, mit der dem bürgerschaftlichen Engagement eine Grundlage gegeben wurde, die Entwicklung der Städtepartnerschaft zwischen interessierten Menschen und Organisationen wesentlich in eigener Verantwortung gestalten zu können. In diesem Sinne beschreibt die Satzung auch den Zweck des Fördervereins: Zweck des Vereins ist die Verständigung und Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen, insbesondere durch die umfassende Förderung vielseitiger bürgerschaftlicher und institutioneller Kontakte und Begegnungen im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Münster und Lublin. Hierbei ist die zwischen Münster und Rishon le-Zion bestehende Partnerschaft miteinzubeziehen.



Städtepartnerschaftliche Projekte

Diese "Partnerschaft neuen Stils" mit dem Vorrang selbst organisierter privater Kontakte zwischen den Bürgerinnen und Bürgern beider Städte hat sich bisher sehr bewährt. Den Erfolg dieser "Bürgerpartnerschaft" belegen im folgenden auch die vielen konkreten Beispiele.

Der Leitidee der Städtepartnerschaft folgend und der lebendigen "Bürgerpartnerschaft" entsprechend sind offizielle Projekte subsidiär. Von der Stadt Münster initiierte und koordinierte Projekte sind z. B.: Zum 50. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1995 hatte die Stadt Münster Jugendliche aus allen münsterschen Partnerstädten und aus jeder Partnerstadt Augenzeugen der letzten Kriegstage eingeladen, die mit den Jugendlichen über ihre Erlebnisse sprechen und für Gespräche mit Schulklassen zur Verfügung stehen. Zwar wurden alle Partnerstädte von Münster eingeladen, das Projekt berührte aber auch in besonderer Weise unsere Partnerstadt Lublin, die auch an dem Treffen teilgenommen hat. Ein weiteres Projekt der Stadt Münster war die Deutsch-Polnische Woche vom 1. bis 9. Juli 1995. Sie stellte die Begegnung mit Menschen aus Polen und insbesondere aus der Partnerstadt Lublin in den Mittelpunkt der städtepartnerschaftlichen Aktivitäten der Stadt Münster. Bis zu 250 überwiegend jugendliche polnische Gäste aus Lublin waren während dieser Woche in Münster! Aus Anlaß des Jubiläums "350 Jahre Westfälischer Friede" hielten sich auf Einladung der Oberbürgermeisterin vom 13. bis 16. Juni 1998 Vertreter aus Rat und Verwaltung der Partnerstädte (u.a. auch aus Lublin) in Münster auf. Im Mittelpunkt des Zusammentreffens standen am 14. Juni 1998 ein Workshop zum Thema "Lokale Agenda 21" und in diesem Zusammenhang ein Erfahrungsaustausch über die Aktivitäten in den einzelnen Kommunen. Das Stadtmuseum Münster bereitet in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Majdanek und mit Unterstützung des Fördervereins Münster-Lublin e.V. das Ausstellungsprojekt "Vernichtungslager Majdanek Fotografien" vor. Die Ausstellung, die auch ein Beitrag zum 10-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft ist, wird voraussichtlich im Dezember 2000 in der Gedenkstätte Majdanek und im April 2001 im Stadtmuseum Münster eröffnet. Im Mittelpunkt der Ausstellung werden historisches Fotomaterial und aktuelle Fotografien stehen. Besonders bemerkenswert finde ich, daß die deutsch-polnischen Beziehungen heute einen solchen Stand erreicht haben, daß der Rückblick auf diesen Abschnitt der Geschichte in deutsch-polnischer Zusammenarbeit erfolgt und gemeinsam eine Botschaft für die Zukunft vermittelt werden soll.



Kirchliche Kontakte

Kirchliche Kontakte sind eine bedeutende Säule der Städtepartnerschaft zwischen Lublin und Münster. Kulturelle Projekte und Begegnungen, organisiert von bürgerschaftlichen Initiativen wie der Fundacja Galeria na Prowincji aus Lublin, stehen im Fokus der städtepartnerschaftlichen Aktivitäten. Beispielhafte kulturelle Projekte umfassen Kunstausstellungen, Konzerte, Fotoausstellungen und Literaturseminare, die die Partnerschaft vertiefen. Auch die langjährige Partnerschaft zwischen den katholischen Pfarrgemeinden Maria Geburt in Dabrowica und St. Ida in Münster-Gremmendorf wird als Beispiel genannt. Kirchliche Verbände, wie das Stadtkomitee Katholischer Verbände, engagieren sich in Hilfsaktionen und haben sogar Hilfsgüter nach Lublin geschickt. Private Kontakte und Besuche zwischen Familien tragen ebenfalls zur Verständigung bei. Die Verdienste von Pfarrer Ewald Spieker wurden im Herbst 1995 vom Lubliner Erzbischof Prof. Pylak gewürdigt. Der Förderverein Münster-Lublin hat Spendenaktionen für Hilfsprojekte in Lublin initiiert, darunter eine Aktion zur Unterstützung der Hochwasser-Katastrophengebiete in Polen im Sommer 1997 und eine Spendenaktion zur Fertigstellung eines ökumenischen Altersheims in Lublin im März 1999.



Sprachkurse

Um sprachliche Barrieren zu überwinden, bietet die Katholische Universität Lublin eine "Sommerschule für polnische Sprache und Kultur" an, an der Münsteraner teilnehmen. Die Volkshochschule Münster veranstaltet einen dreiwöchigen Feriensprachkurs "Deutsch als Fremdsprache". Der Förderverein Münster-Lublin lädt und unterstützt seit 1997 Jugendliche aus Lublin für diesen Kurs ein, um Multiplikatoren für die Städtepartnerschaft zu gewinnen. Der Förderverein organisiert zudem ein spezielles Rahmenprogramm für die Jugendlichen, um ihnen eine vielfältige "Begegnung mit Münster" zu ermöglichen. Zusätzlich wurde erstmals im Jahr 1999 eine "Polnische Sommerschule" mit einem öffentlichen Rahmenprogramm durchgeführt, um Polen als Nachbarland näher zu bringen. Aufgrund der positiven Resonanz wurde im Jahr 2000 eine 2. Polnische Sommerschule in Münster veranstaltet.



Bürgerreise

Der Förderverein Münster-Lublin e.V. organisiert "Bürgerreisen" nach Lublin, die die persönliche Begegnung mit Polen und seiner Partnerstadt ermöglichen. Die zweite Bürgerreise im August 2000 wurde aufgrund des Erfolges der ersten durchgeführt und richtete sich an alle Bürgerinnen und Bürger in Münster. Das Programm betonte die Grundphilosophie der Städtepartnerschaft und bietete Einblicke in polnische Geschichte, Politik, Kultur, jüdische Kultur, Vergangenheit, Wissenschaft, Kirche, Architektur und Stadtplanung. Als Teil der Städtepartnerschaft plant der Förderverein eine Bürgerreise von Lublin nach Münster im Jubiläumsjahr 2001. Der Förderverein fördert auch Diskussionsrunden zu relevanten Themen, wie das Deutsch-Polnische Europagespräch, das sich mit Entwicklungen in den deutsch-polnischen Beziehungen und der Bedeutung von Städtepartnerschaften für ein lebendiges Europa beschäftigt.



Resümee

Die Städtepartnerschaft zwischen Lublin und Münster zeigt vielfältige und intensive Beziehungen sowie selbstorganisiertes bürgerschaftliches Engagement. Die Leitidee der "Partnerschaft neuen Stils" bleibt lebendig und trägt als kommunaler Baustein zur guten Nachbarschaft zwischen Polen und Deutschland bei. Trotz der lebendigen Partnerschaft sind Ausbaupotenziale erkennbar, insbesondere in den Bereichen Hochschulen, Sport, Schulkontakte und der Dreiecksstädtepartnerschaft mit Rishon le Zion. Ein fortlaufendes Anliegen ist die Erweiterung der bürgerschaftlichen Basis und den Abbau von Vorurteilen, dem der Förderverein sich weiterhin widmet. Wladyslaw Bartoszewski's Traum von normalen Beziehungen zwischen Polen und Deutschen wird weiterhin angestrebt.