Erste
Begegnung mit Rumänien und den Ferienlager-Kindern - Ein Reisebericht
Letztes
Jahr bin ich zum ersten Mal mit der Initiative nach Rumänien gefahren.
Ich muss gestehen, dass mich sehr gemischte Gefühle begleiteten. Zum
einen natürlich, weil ich auf die Arbeit und die damit verbundene
Lebenserfahrung sehr gespannt war, und zum anderen, weil ich mir vor
der Reise noch eine SPIEGEL-Reportage über den Kinder-Gulag in Cighid
anschaute, in der Reporter von SPIEGEL in einem abgelegenen rumänischen
Jagdschloss schockierende Bilder entdeckten. Sie zeigten Kinder, die in
ihren eigenen Exkrementen saßen und den ganzen Tag hinter Gitterbetten
in ungeheizten, dunklen Räumen verbrachten. Weil sie behindert waren,
ließ man sie bis zu ihrem Tod im Dreck vegetieren. Natürlich machte ich
mir bewusst, dass diese Aufnahmen vor über 20 Jahren entstanden sind,
aber ein mulmiges Gefühl blieb trotzdem. Um meine Impressionen über das
fremde Land festzuhalten, beschloss ich kurzerhand, ein kleines
Reisetagebuch anzulegen. Diesem entnehme ich auch die meisten
Informationen und Erinnerungen, die ich hier verwenden werde.
Ich kann mich noch sehr gut an meine ersten Eindrücke in der fremden
Umgebung erinnern. Schlechte Straßen mit unzähligen Kreuzen, die stets
an die risikofreudigen Autofahrer erinnern, Straßenhunde, die in Rotten
umherziehen, der allgegenwärtige Müll in der doch sehr
beeindruckend-schönen Natur, die brennende Hitze und nicht zuletzt die
kleinen verschlafenen Dörfer, in denen das Pferdegespann noch ein
gängiges Fortbewegungsmittel darstellt. Natürlich gab es noch viel mehr
zu bestaunen, aber das würde ganze Bücher füllen. Auf jeden Fall war
mein Interesse für die Menschen, die Kultur und das Land geweckt.
Als Grünschnabel bot es sich für mich an, dem Seminar mit den
rumänischen Jugendlichen beizuwohnen. Dort lernte ich auf eine
zwingende Art und Weise mit Menschen, deren Sprache ich nicht mächtig
bin, zu kommunizieren. Sehr interessant war dabei, dass man sich trotz
alledem verständig machen konnte.
Das machte mir auch Hoffnung für die weitere Begegnung mit den Kindern.
Ich hätte nicht gedacht, wie herzlich die Begrüßung ausfallen wird.
Gleich nach dem Eintreffen kamen die ersten zu mir gerannt, redeten
mit, zumindest denke ich das, freundlichem Gemurmel auf mich ein,
reichten mir ihre kleinen Hände und musterten mich mit neugierigen
Blicken. Auch ich war positiv überrascht: Das Klischee von den in
Lumpen gekleideten Waisenkindern hat sich doch tief in meinen Kopf
eingebrannt. In den folgenden Tagen bauten sich auch nach und nach
individuelle Beziehungen zu den Kindern auf. Mit einigen entwickelte
ich sogar eine Art ‘Geheimsprache’ aus Englisch, Deutsch, Rumänisch und
aus verschiedenen Gestikulationen. Und trotz allen Strapazen,
Missverständnissen und kulturellen Diskrepanzen ist mein Aufenthalt im
Ferienlager ein sehr prägendes und schönes Ereignis in meinem Leben
geworden.
Die Gastfreundschaft der Familie Fratila, die uns trotz ihrer
finanziellen Lage bewirteten wie Könige, dann die Kinder, die sich über
einfache Dinge freuten wie Schneekönige und nicht zuletzt die
ortsansässigen Menschen, die mir einen neuen Blickwinkel in Bezug auf
eine andere Lebenseinstellung ermöglichten. Ich habe einen neuen
Blickwinkel auf die für uns normalen Standards des Alltags bekommen und
ein Bewusstsein, dass fließendes Wasser, gutes Essen und bequeme
Straßen keine Selbstverständlichkeit sind. Ein tiefes Gefühl der
Dankbarkeit für all diese Erfahrungen, die einen weiteren Baustein zu
meiner Menschwerdung bildeten, ist geblieben.
Johannes
Breuer