L'art pour l'art unterwegs zu

'MARTa schweigt ...'

Fünf Personen fühlten sich von dem Ausstellungstitel angesprochen. Nicht dass sie besonders schweigsam wären. Unterwegs wurde sogar viel ausgetauscht und der von Helga mitgebrachte Sekt hat die Zungen noch mehr gelockert. (Hier warten wir in Hamm und auf den verspäteten Zug nach Herford. Wir das heißt: Melanie, Helga, Silke, Miriam und hinter der Kamera versteckt Alina.)

An den silbernen Versen von Rilke entlang näherten wir uns dem architektonischen Kunstwerk der Neuzeit. Das supermoderne Museum (MARTa soll wohl modern-art-museum heißen) ist auch ohne eine Ausstellung eine Reise wert. Helga hat uns aber dahin eingeladen, damit wir uns mit der Stille in der Kunst befassen. Der Untertitel in französischer Sprache war wohl der Auslöser für diese Wahl.

Garde le silence, le silence te gardera (in etwa: Bleibe still und die Stille wird dich behüten /tragen) ist ein Zitat einer in Stein gemeißelten Kapitel-Inschrift aus dem 11. Jh. Die alte Botschaft hat den belgischen Kurator Jan Hoet beflügelt - im Augenblick, wo der moderne Kunstbetrieb im Jahr der documenta in Kassel und der Skulpturen-Projekte in Münster auf Hochtouren dreht, will die Ausstellung das ewige Thema Stille im Spiegel der Kunst zeigen.

Genaugenommen hat man hier verschiedene Exponate namhaftester Künstler gesammelt und diese in den Riesenraum des Themas um die Abwesendheit, Verstummen, Schweigen, Stille, Leere gestellt. Dem Betrachter bleibt überlassen, welchen Aspekt der Stille er einem Kunstwerk ansieht und vielleicht auch, wie tief er das Thema an seine Gefühlswelt heranlassen möchte - im Zeitalter der erdumfassenden Vernetzung und der permanenten Kommunikation verbinden die meisten Menschen Stille mit Vereinsammung, mit Isolation, mit Tod ... Der Raum des inneren Friedens bleibt das Reiseziel von wenigen.

Jene Stille, jenes offene Nichts hinter der Gedankenwelt, dem jede Idee oder materielle Form entspringt, war es, die mich bei Betrachtung des Fotos mit dem Werk von Richard Long (Kreis aus vertrockneten Ästen) nach Herford gerufen hat. Vor Ort musste ich feststellen, dass ich auf jenem Archivfoto von einer früheren Ausstellung nur den Stille-Raum um das Kunstwerk herum empfangen haben muss - MARTa präsentierte diese Installation in der Ecke seiner größten Halle, wo noch weitere Kunstwerke um die Aufmerksamkeit des Betrachters warben. Ob es an der dezentralen Plazierung, an der vielfältigen Ablenkung in dem stark frequentierten Raum, an meiner auf das Foto gestützten Erwartung oder an ganz was anderem lag, vermag wohl keiner urteilen, aber die Kreise blieben für mich sehr ... flach, egal welche Hymnen die Museumsführerin darüber zittierte. (Führung war ohnehin die größte Enttäuschung, MARTa sollte man sich lieber ohne solche Helfer erschließen.)

Begeistert hat mich dagegen ein tonales Werk(?). Ein Künstler - Name entfallen - präsentierte auf einem Foto (+ statisches Videobild) Kinder einer Klavierklasse und füllte den Ausstellungsraum mit besonderer Tonaufnahme: eine Bach-Fuge wird so langsam gespielt, wie man's halt von Kindern kennt, die lange herumsuchend ihre ersten Tastenanschläge wagen. Zwischen einzelnen Notenklängen herrscht so viel geduldige Stille, dass man die losen Töne nicht mehr als Musik hören könne. Wenn man die Klaviertöne mit Fischen vergleiche, so war jene Stille ein mächtiger Ozean in dessen Weiten sie lebten. Bislang meinte ich immer, dass die Musik aus Klängen und geschnetzelten Stille-Augenblicken besteht. Nun erlebte ich das anders. Der Permanenz der Stille schienen keine Klänge im Ausstellungsraum etwas anhaben zu können. Sie währte einfach. Ich fand

diese Erfahrung herrlich; ganz anders Silke - einstige Klavierschülerin, die auch Bach spielte, litt jetzt sichtlich, weil sie dem Klangchaos eine Musiklinie abgewinnen wollte und nicht konnte.

'Spaß' hatten wir alle an einem anderen Kunstwerk. Genaugenommen an seiner Resonanz auf die Betrachter und ... das Museumspersonal. In einer kleineren Halle leuchtete eine schlichte Glühbirne über einem gelben Kreis auf dem Boden. Daneben gab es eine schwarz bemalte Glühbirne, die einen pechschwarzen 'Lichtkreis auf dem Boden schuf' - so sollte es wohl dem potenziellen Betrachter erscheinen. Bevor wir den Raum überhaupt betraten, warnte uns die Führerin, man solle auf die Boden-Kreise bloß nicht drauftreten. Im Saal sahen wir, dass eine Aufsichtsperson zwischen beiden Kreisen plaziert wurde, um das Unheil abzuwenden. Vergebliches Bemühen. Hin und wieder passierte es, dass einzelne Betrachter den Saal mit Blick auf die hohen Wände betraten und den mit Kreidepulver bestäubten gelben oder schwarzen Kreis ahnungslos überquerten. Dafür sind ja kaum mehr als 2 Sekunden nötig - viel zu wenig, um jemanden aufzuhalten.

Und dann ... ein ganzes Drama. Der 'gestellte' Kulturbanause traut sich mit seinen gefärbten Sohlen nicht zu flüchten. Die Aufsichtsleut' wirbeln hilflos um das verletzte Kunstwerk herum und holen dann den Konservator, der mit einem feinen Besen gegen die Kreiswunde anzugehen versucht. Da dies nur ein schäbiges Resultat zeitigt, werden Eimer mit neuem Pigmentpulver geliefert und durch ein kleines Sieb gestreut - beim Schwarz klappt es gut, aber das Gelb scheint nicht im selben Farbton zu sein, also muss doch der Besen her. Der Museumsdirektor (der den ganzen Sonntag eh im Museum verbrachte!) eilt herbei und schüttelt bekümmert Kopf ... So ein Schaden!

Bis wir das Museum verließen, lief das Theaterstück viermal ...

Oh, war es gerade nicht ernst genug ..? Sorry. Unsere Vereins-Chronik kann und will auch nicht Fachrezensionen liefern. Sie lesen hier nicht mehr (aber auch nicht weniger!) als einen knappen Erlebnisbericht ... garniert mit der Empfehlung: die Ausstellung wurde vor wenigen Tagen eröffnet und dauert noch bis zum 7. Oktober 2007. Sie hat wirklich viel zu bieten, und wer mit dem Gedanken spielt, dies selbst zu erfahren, möge sich auf der Website des Museums umschauen.

Bericht: Alina Köttgen