Das Vorderzimmer

Ihr werdet euch darüber wundern, aber ich stelle mich trotzdem vor: Mein Name ist „Das Vorderzimmer“, ich bin in fast jedem rumänischen Dorf zu finden, in dem Haus jedes Bauern, und ich habe einen großen Wert, da ich immer erst dann benutzt werde, wenn etwas ganz Besonderes passiert.

Oft ist es langweilig, und ich bin sehr einsam, da mich fast Keiner besucht, aber es gibt Tage, an denen mich der Wust an Besuchern überfordert. Da ich aber weiß, dass ich danach wieder mutterseelenallein sein werde, schätze ich sie umso mehr. Ich hatte euch erzählt, dass es mich mehrmals gibt, und das stimmt auch, denn ich habe viele meinesgleichen, und wir ähneln uns sehr. Sogar unser Schicksal ist meistens gleich, wenn sich was ändert bei einem von uns, dann nur wegen der neuen Generationen, die bei uns einziehen, uns immer verändern wollen, und es dann letztendlich auch tun. Einerseits ist das gut, da wir ab diesem Zeitpunkt fast nie mehr allein sind, anderseits verlieren wir unsere alte Bedeutung.
Vorderzimmer
Ach, bin ich unhöflich, ich sollte mich ja vorstellen und am besten könnt ihr euch gut vorstellen, wie ich aussehe, wenn ich mich auch beschreibe. Ihr merkt, all das passiert nur, weil ich so häufig allein bin, und ich so etwas, wie „sich vorstellen“, selten mache. Also, meistens bin ich dunkel und schön kühl im Sommer und genauso kühl im Winter. Das liegt daran, dass fast immer die Fensterläden zugeklappt sind. Ich sehe meistens wie neu aus, denn ab und zu wird Staub gewischt. Ich habe immer mindestens ein Fenster zur Straße, eigentlich optimal, um die Aussicht zu genießen. Jedoch bleibt mir diese durch die Fensterläden meist verborgen und ich kann nur an dem Kindergetümmel erkennen, dass es Tag ist. Genau vor meinem Fenster wird fast immer Fangen, Fußball oder Verstecken gespielt. Somit kenne ich fast jedes Geheimnis, das bei mir vor dem Fenster auf dem Zaun besprochen wird, da mein Gehör durch das Fehlen des Sehsinns viel schärfer geworden ist. Ich werde meist mit den besten Gegenständen geschmückt, angefangen mit den großen, schweren, dunkelbraunen Edelholzmöbeln, die bei mir wohnen. Ich besitze eine Vitrine, wo das Feiertagsbesteck seinen Platz findet, z.B. das Osterglas, das nur in der Osternacht in der Kirche benutzt wird – aber das ist eine andere spannende Geschichte. Gegenüber, links neben der Tür, ist ein großer, schwerer Schrank, der auch die Feiertagsanzüge und Trachten der Hausbesitzer bewahrt. Wenn du diesen Schrank öffnest, erschlägt dich ein starker Lavendelduft, und das nur, weil ganz viele Säckchen mit der wunderbaren Pflanze drinnen verteilt sind, um die Bösewichter, die Motten, fern zu halten.

Rechts neben der Tür befindet sich ein Kachelofen, ein besonderer, er ist nämlich mit braunen Fließen verziert und man kann sich schön dran erwärmen, vor allem im Winter. Er wird nur selten gebraucht, eben wenn im Winter Gäste zu Besuch sind, dann wird er mit Holz gefüttert und er strahlt eine herrliche Wärme aus.

Gegenüber ist gleich ein großes Ehebett, eine selbst gewebte Tagesdecke mit rot-schwarzem Muster beschmückt es, an den Rändern sieht man die von der Urgroßmutter selbst gehäkelten weißen Spitzen. Über dem Bett an der Wand hängt ein Wandteppich, er stellt eine Waldlandschaft dar. Aus dem Bild starren einen die ganze Zeit zwei Hirsche an, vor denen sich meist die kleinen Kinder fürchten, die mich allerdings ganz selten besuchen. Gleich am Bettende befindet sich eine große, schwere Truhe, wo man die Bettdecken aufbewahren kann. Rechts daneben gibt es noch einen Ganzkörperspiegel.

Mitten im Zimmer steht ein großer Tisch mit vier Stühlen, der ebenfalls mit einer selbst gehäkelten Tischdecke geschmückt ist. Über dem Tisch hängt ein prächtiger Kronleuchter. Das Beste und Teuerste bewahre ich und trotzdem genießen das die Hausbesitzer selbst fast nie. Nur letztes Jahr war es ganz verrückt.

Es fing mit einer Hochzeit an, im Frühling. Die Hausbesitzer öffneten die Fensterläden und so durfte ich drei Tage lang die Sonnenstrahlen genießen. Der große Tisch wurde ausgezogen, und mit vielen Kuchenstapeln, Wein, Schnaps und andere Leckereien reich gedeckt. Die Braut, die im Haus wohnt, wurde abgeholt und somit kam die ganze Hochzeitsgesellschaft zu uns, ich war also keine Minute allein. Die bis jetzt verschlossene Tür blieb immer offen, es wurde getanzt, musiziert und gesungen wie noch nie.
Vorderzimmer
So wie es auf einmal kam, so war’s auf einmal wieder zu Ende, und ich saß wieder einsam und im Dunkeln da. Nicht viel später aber kam Besuch, der durfte bei mir wohnen und wieder hatte ich Gesellschaft. Besuch kommt und geht, über manche freu’ ich mich, wenn sie kommen; über andere, wenn sie gehen.

Zwei Wochen später, im Juli, passierte was ganz anderes. Der große Tisch wurde beiseite gestellt. Der schöne Spiegel wurde mit einem weißen Tuch bedeckt, davor zündete man eine Kerze an, die auch drei Tage lang brannte. Statt des Tisches kam ein Sarg, der Großvater war gestorben, ringsherum saßen die Angehörigen auf Stühlen und trauerten um ihren Verlust. Es war das genaue Gegenteil des Frühlings, ich war dunkel geschmückt, mit Kerzen und Blumen, die es freundlicher gestalteten. Statt Musik und viel Rummel war eine bedrückende Stille, obwohl fast das ganze Dorf rein und raus ging – meine Türen waren wie im Frühjahr offen. Ich hörte wie die Großmutter die Frage des kleinsten Kindes beantwortete, warum denn der schöne Spiegel bedeckt sei: „Es ist so. Es ist nicht gut. Der Spiegel wird immer bedeckt, wenn jemand uns verlässt“.

Ich blieb auch nach diesem traurigen Ereignis weiter so wie immer, einsam und geschlossen. Zwei Monate später kriegte ich einen ganz jungen Besuch, den jüngsten, an den ich mich erinnern kann, der fast nichts von der Welt gesehen hatte. Seine Eltern und die Verwandtschaft feierten seine Geburt, und somit wurde der Tisch wieder ausgezogen und es wurde erzählt, gegessen und gefeiert, und die Sonne schien wieder durch meine Fenster. Ich merkte, ihre Kraft war nicht mehr so stark, die kühle Jahreszeit nahte, wie ich es spüren konnte.

Eines Tages begannen die Hausbesitzer den Kachelofen zu heizen, ich fühlte die be­sondere Wärme und merkte die kühle Luft von draußen durch den offenen Türspalt – es war Winter. Viele Jungs in Trachten betraten mit ihren nassen Stiefeln meinen schö­nen persischen Teppich, sie sangen, begleitet von Akkor­deon und Klarinette. Die Mä­dels des Hauses wurden zum traditionellen Tanz eingeladen und den Rhythmus spürte ich in meiner Vitrine.

Ich blicke zurück und weiß, dass dies ein besonders unter­haltsames Jahr war, und dass mich die Hausbesitzer doch sehr schätzen, weil ich eine besondere Rolle bei jedem Er­eignis spiele – und sie mich somit immer brauchen.

Und trotzdem bleibe ich meistens allein, als das Zimmer, wo es den Kindern verboten ist zu spielen, und vor dem sich die Kinder in ihrer Fantasie umso mehr fürchten, da sie nicht wissen, was sich genau in mir verbirgt. Eigentlich bin ich ein ganz normales Zimmer, mein Name ist jedoch „Das Vorderzimmer“ und ich habe den ersten Rang in der Zimmerordnung.

Nicoleta Florentina Rus und Oana Georgiana Rus