"Eine schwere Geburt ..." (von Bettina Rost)

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Hilfstransport von der Stadt Dresden ausging... Und diese Fahrt war die allerlängste und geschah zur (Vorweihnachts-) Zeit, da Katastrophenalarm auf der A 9 ausgelöst und Machtübergabe in Kabul war.

Der einzige Unterschied zu Maria und Josef auf der Suche nach einer Herberge bestand wohl darin, dass die beiden es sich auf einem Lasttier bequem gemacht hatten, wohingegen wir mit einem Mini-Lkw und einem Kleinwagen unterwegs waren. Allerdings hätte jener Esel mit der Schwangeren auf dem Rücken sicherlich gut mit unseren Fahrzeugen Schritt halten können - bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10-15 km/h... Irgendwann muss das Paar uns dann tatsächlich überholt haben; denn als wir völlig übermüdet am Ziel ankamen, war das Kind schon da. Aus dem benachbarten Waisenheim waren bereits helle Engelsstimmen zu hören, die zur Feier des Tages bzw. des Heiligen Abends die rumänische Weise "O, ce veste minunata..." sangen, deren zweite Strophe von jener anstrengenden vorweihnachtlichen Reise erzählt: "Als Maria in Bethlehem ihre Reise beendete ..., gebar sie den Messias." ["Ca la Bethleem Maria/Savârsind calatoria/.../.../A nascut pe Mesia"]

Und als wir am 24. Dezember nach drei Nächten und drei Tagen ohne Schlaf unsere Reise beendeten, entluden wir erst einmal das Lastauto, das im Tiefschnee stecken geblieben war, und stolperten mit Computern, Kopierern, Druckern, Kleidersäcken und Paketen - körperlich stark geschwächt - den steilen Hang zu unserer Herberge, dem Arbegener Pfarrhaus, hinauf.

Alles hatte damit angefangen, dass am Freitag, den 21. Dezember 2001, in Deutschland ein Schneechaos ausgebrochen war, welches zur Totalsperrung der A 9 geführt hatte. Demzufolge mussten wir mit Tausenden von Autofahrern die Nacht im Auto verbringen. Selbst der Winterdienst steckte fest. Als der Verkehrsfunk die Nachricht sandte, die Verkehrsteilnehmer würden gebeten, nicht mehr auf die A 9 einzufahren, war es für uns schon zu spät. Wir befanden uns bereits auf besagter Autobahn in Richtung Passau und hatten uns auf einen 14- bis 15- stündigen Stau einzurichten, den wir in gespenstiger Stille verbrachten. Dass Einsatzkräfte auf Motorschlitten unterwegs seien, war für uns nur ein geringer Trost im Blick auf die weite Reise, die uns noch bevorstand. Zumindest auf das Mitgefühl und den Zuspruch des Pressesprechers der Bayreuther Polizei konnte man zählen: "Die Lage ist nach wie vor ernst. Wenn Sie im Stau stehen, haben Sie bitte viel Geduld! Wir sind in Gedanken wirklich bei ihnen!" Die 9-Uhr-Nachrichten am nächsten Morgen meldeten, das Technische Hilfswerk sowie das Rote Kreuz würden die Leute so gut wie möglich mit Decken und heißem Tee versorgen. Man kümmere sich um die Fahrer; auch stünden Notunterkünfte in Bayreuth bereit, so dass Kraftfahrzeugführer aus der Autobahn ausgeleitet und vorerst in Turnhallen untergebracht werden könnten.

Nach 21 Stunden waren wir endlich in Österreich. Über Wien, Budapest und Arad/Rumänien sollten wir noch weitere 50 Stunden ,auf Achse' sein. Denn auch Rumänien war von den winterlichen Wetterkapriolen in Europa nicht verschont worden. Um das Gebirge zu umgehen, mussten wir einen riesigen Umweg durch's Land fahren. Abgesehen davon kamen wir auf den spiegelglatten Straßen bei zusätzlichem nächtlichen Nebel und Schneeverwehungen nur im Schneckentempo voran. Langsam, aber sicher...

Im Nachhinein staunen wir, wie wir all diese Strapazen und durchwachten Nächte ausgehalten haben, und sind dankbar, dass letztendlich alles gut ging und wir mittlerweile wieder gesund und wohlbehalten zurückgekehrt sind. Das Kind mit dem schmutzigen Gesichtchen, das bei zweistelligen Minusgraden keine Hose anhat, weil es keine besitzt, hat mir gezeigt, dass die Not der Menschen geblieben, ja bei vielen Familien sogar größer geworden ist, selbst wenn über Rumänien und die Probleme des Landes sowie seiner Menschen inzwischen kaum noch etwas in den Medien berichtet wird. So gesehen hat sich unser Einsatz auch gelohnt.