Fakten zum
Hornissengift
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Erfahrungen von Dr. Elmar Billig: "Bevor wir mit der Umsetzung von Nestern beginnen, werden zunächst die Arbeiterinnen aus dem Nest abgesaugt. Dazu klopfen wir zunächst leicht auf den nahen Nestbereich, bis die Arbeiterinnen zur Verteidigung ausfliegen. Selbst bei großen Nestern fliegen so gut wie nie mehr als 50 - 80 Arbeiterinnen gleichzeitig aus. Und von diesen Tieren ist der Hauptanteil mit dem Herumfliegen und diversen Drohgebärden beschäftigt - einige Tiere versuchen im Flug, einem das Gift in die Augen zu spritzen. Richtige Angriffe (mit der Absicht zu stechen) werden nur von etwas einem Fünftel der Tiere geflogen. Wenn wir dann alle zur Verteidigung bereiten Arbeiterinnen abgesaugt haben, stellen wir immer fest, dass noch etwa 25 % der Tiere als "Notreserve" im Nest bleiben und erst dann ausfliegen, wenn die Nesthülle geöffnet wird. Das zusammen bedeutet: Selbst wenn man von einem großen Staat (800 Tiere sind nur in Ausnahmefällen und nur in ganz wenigen Wochen im August zu beobachten) ausgeht und diesen massiv reizt, dann fliegen im besten Fall 200 Stück gleichzeitig aus, da sich der Rest der Mannschaft beim Beutemachen und Nestmaterialbeschaffen unterwegs befindet. Wenn von diesen 200 Verteidigern dann etwa 50 Tiere "ernsthafte" Stichversuche unternehmen und wir davon ausgehen, dass etwa zwei Drittel dieser Versuche erfolgreich sind, dann kommen wir genau auf die Angabe von Herrn Rickinger. Habe selten gehört, dass ein einzelner Mensch mehr als 20 Stiche bekommen hätte. Auch der Umkreis um das Nest, in dem die Tiere einen vermeintlichen Angreifer noch verfolgen, ist eigentlich niemals größer als 15 bis 20 Meter. Diesen Bereich kann man doch recht schnell verlassen." |
Potentiell gefährlich für einen gesunden Menschen sind lediglich Stiche in der Mundhöhle, insbesondere im tiefen Hals- und Rachenraum. Hier kann die mit einem Stich einhergehende Schwellung unter Umständen zur Verlegung der Atemwege führen – dann besteht Erstickungsgefahr.
Zu Stichen in die Mundhöhle kommt es, wenn das Insekt in ein süßes Getränk wie Cola, Limonaden o.ä. hineinfällt und anschließend beim Trinken verschluckt wird. Für solche Stichunfälle sind jedoch fast ausschließlich Wespen der vulgaris-Gruppe verantwortlich.
Hornissen und die übrigen Wespenarten gehen hingegen nicht an menschliche Süßspeisen und Getränke. Erstere ist außerdem zu groß, als dass sie unbemerkt verschluckt werden könnte.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Risiko, an Hornissenstichen zu sterben, für einen gesunden Menschen praktisch nicht existent ist. Selbst bei Insektengiftallergiker muss nicht zwingend eine erhöhte Gefährdung vorliegen! Auf diese Problematik soll im folgenden noch kurz eingegangen werden.
Insektengiftallergie
Schätzungsweise 0,8 bis 4% der Bevölkerung leiden unter einer Insektengiftallergie. Darunter versteht man eine erworbene Überempfindlichkeit des Immunsystems gegen bestimmte Insektengifte. Diese Allergie tritt in unterschiedlichen Schweregraden auf und kann vereinzelt sogar lebensbedrohliche Ausmaße (anaphylaktischer Schock) annehmen.
Todesfälle als Folge einer Insektengiftallergie sind jedoch glücklicherweise äußerst selten. So verzeichnete das Statistische Bundesamt Deutschland beispielsweise für das Jahr 1999 21 Todesfälle infolge einer Insektengiftallergie. Das entspricht 0,26 Todesfälle pro einer Million Einwohner oder einem Todesrisiko von 1:3,85 Millionen. Zum Vergleich: im Straßenverkehr starben im selben Zeitraum 7.772 Personen (94,59 Todesfälle pro 1 Mio Einwohner/ Todesrisiko: ca. 1:10570). Nach Müller 1988 dürfte selbst in Ländern mit hoher Prävalenz und unter Berücksichtigung einer etwaigen erheblichen Dunkelziffer nicht erkannter Fälle die Mortalität der Hymenopterengiftallergie verschwindend gering sein und einen Todesfall pro Million Einwohner im Jahr nicht übersteigen.
Bei der Insektengiftallergie handelt es sich in fast allen Fällen um eine IgE-vermittelte systemische Soforttyp-Allergie (Anaphylaxie). Die Sensibilisierung erfolgt beim erstmaligen Kontakt mit dem entsprechenden Antigen. Dabei erzeugt das Immunsystem spezifische Immunglobulin-E-Antikörper, die sich an Mastzellen und basophilen Granulozyten im Blut und Gewebe anlagern. Erst nach erfolgter Sensibilisierung führt ein erneuter Allergenkontakt zu einer allergischen Reaktion. Hierbei binden die zuvor gebildeten IgE-Antikörper das eingedrungene Allergen. Gleichzeitig werden aus den Mastzellen und Granulozyten entzündungsfördernde Substanzen freigesetzt. Die massive Ausschüttung dieser Substanzen – insbesondere Histamin aus den Mastzellen – ruft die typischen Symptome der allergischen Reaktion hervor. Diese treten innerhalb relativ kurzer Zeit (wenige Minuten, nur in seltenen Fällen bis zu einer Stunde oder länger) nach dem Kontakt mit dem auslösenden Antigen ein. Man spricht daher von einer allergischen Reaktion vom Soforttyp oder Typ I.
Allergische Reaktionen auf Insektenstiche zeigen keineswegs ein einheitliches klinisches Erscheinungsbild. Vielmehr unterscheidet man unterschiedliche Schweregrade.
Nicht unbedingt IgE-vermittelt ist deren schwächste Form: gesteigerte örtlichen Reaktionen. Diese äußern sich in einer z. T. erheblichen Schwellung der Stichstelle von ungewöhnlich langer Dauer. In der Vergangenheit ging man davon aus, dass diese gesteigerten Lokalreaktionen Vorboten einer systemischen Allergie seien. Wie medizinische Langzeitstudien gezeigt haben, trifft dies jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen zu (Mauriello et al. 1984). Schwere Lokalreaktionen können daher in den meisten Fällen als unbedenklich eingestuft werden. Sie treten bei bis zu 19% der Gesamtbevölkerung gelegentlich auf. Bei den allergischen Allgemeinreaktionen von Soforttyp werden weiterhin die Schweregrade I –IV unterschieden.
Einen Überblick gibt Tabelle 1 - Einteilung der allergischen Reaktionen (nach MÜLLER 1988)
Schwere Lokalreaktionen | Schwellung der Stichstelle deutlich größer als 10 cm, Dauer länger als 24 Stunden |
Allgemeinreaktionen |
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Grad I – mild | Nesselsucht (generalisierte Urticaria), starker Juckreiz (Pruritus), Übelkeit, Angst |
Grad II – mittelschwer | wie Grad I, zusätzlich: Angioödem, Engegefühl, Erbrechen, Durchfall, Bauchkrämpfe, Schwindel |
Grad III – schwer | wie Grad I + II, zusätzlich: Atemnot, Schluckstörungen (Dysphagie), Sprachstörung (Dysarthrie), Heiserkeit, Schwäche, Benommenheit, Todesangst |
Grad IV – lebensbedrohlich (anaphylaktischer Schock) | wie vorhergehende Grade, zusätzlich: Blutdruckabfall, Kollaps, Bewusstlosigkeit, Inkontinenz, Blaufärbung der Haut (Zyanose) |
Ein ebenfalls verbreiteter Irrtum ist, dass sich der Schweregrad einer vorliegenden Insektenstichallergie mit jedem erlittenen Stich weiter steigern würde. Tatsächlich kam es aber in lediglich 20 bis 60% aller positiven Fälle bei einem späteren zweiten Stich überhaupt zu einer erneuten allergischen Reaktion. (Müller 1998, Reisman 1998). Wurde ein zweiter Stich nicht toleriert, so traten im allgemeinen auch dieselben Symptome wie bei der vorangegangenen Reaktion auf (Reisman 1998). Die Insektengiftallergie nimmt also sehr häufig und in vielen Fällen einen selbstbegrenzenden Verlauf.
Das Risiko einer erneuten allergischen Reaktion (Reexpositionsrisiko) hängt von teilweise noch ungeklärten Faktoren ab. So steigt es beispielsweise mit zunehmenden Schweregrad der Allergie und Alter des Gestochenen, aber auch das stechende Insekt und das zwischen den Stichen vergangene Zeitintervall spielt möglicherweise eine Rolle. Gerade bei Kindern verläuft eine Insektengiftallergie gewöhnlich mild; Selbstheilung tritt häufig ein (Reisman 1998).
Im übrigen ist der Oberbegriff „Insektengiftallergie“ in seiner Bedeutung leicht irreführend. Die klassische Insektengiftallergie gibt es nicht – in der Praxis ist zu unterscheiden, gegen welches Gift man allergisch reagiert. Am häufigsten ist entweder Bienen- (Apis mellifera) oder Wespengift (Vespula germanica, Vespula vulgaris) der Auslöser. Vergleichsweise selten führen hingegen Stiche von Hornissen (Vespa crabro), Langkopfwespen (Dolichovespula spp.), Feldwespen (Polistes spp.), Hummeln (Bombus spp.) oder Ameisen (Formicidae) zu allergischen Reaktionen.
Gelegentlich können Kreuzreaktionen zwischen verschiedenen Hymenopterengiften auftreten, beispielsweise zwischen Bienen- und Wespengift. Der seltenen Hornissengiftallergie liegt in den meisten Fällen eine vorhergehende Sensibilisierung gegen Wespengift zu Grunde (Košnik et al. 2002).
Man mache sich stets klar, dass es sich bei der Hymenopterengiftallergie um eine erworbene krankhafte Überempfindlichkeitsreaktion des Immunsystems handelt und nicht etwa um einen durch das Insektengift ausgelösten toxischen Effekt! Dies bedeutet unter anderem aber auch, dass schwere systemischen Reaktionen bereits nach einem einzelnen Stich auftreten können.
Bei Verdacht auf eine Allergie sollte unbedingt ein allergologisch geschulter Facharzt aufgesucht werden, der die notwendige Diagnostik durchführt, berät und gegebenenfalls eine geeignete Therapie einleitet.
Die Insektengiftallergie lässt sich heute, nachdem nun moderne, standardisierte Giftpräparate verfügbar sind, sehr wirksam mit Hilfe der sogenannten Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie, SIT) behandeln. Die Dauer der Behandlung beträgt gewöhnlich drei bis fünf Jahre. Ihre Erfolgsquote liegt bei nahezu 100 Prozent (Reisman 1998).
Crane, E. 1990. Bees and beekeeping: Science, Practice and World Resources. Cornstock Publ., Ithaca, NY., USA. 593 pp
Habermann, E. 1975. Bienen- und Wespenstiche aus medizinischer Sicht. - Nordwestdeutsche Imkerzeitung Nr. 2: 43-46.
Habermann, E. 1978. Versuchsprotokoll Ha 27.10.1978, Rudolf-Buchheim-Institut für Pharmakologie, Gießen, unveröffentlicht.
Kulike, H. 1986. Zur Struktur und Funktionsweise des Hymenopterenstachels. In: Amts- und Mitteilungsblatt der Bundesanstalt für Materialprüfung, 16: 519-550
Košnik M., Korošec P., Šilar M., Mušič E., Eržen R. 2002. Wasp Venom is Appropriate for Immunotherapy of Patients with Allergic Reaction to the European Hornet Sting. Croat Med J. 43(1): 25-27.
Mauriello, P.M., Barde, S.H., Georgitis, J.W., Reisman, R.E. 1984. Natural history of large local reactions from stinging insects. J Allergy Clin Immunol. 74 (4 Pt 1): 494-498.
Müller, U.R. 1988. Insektenstichallergie. Klinik, Diagnostik und Therapie. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart
Müller., U.R. 1998. Hymenoptera venom hypersensitivity: an update. Clin Exp Allergy 1998; 28: 4-6.
Reisman, R.E. 1998. Stinging insect allergy. Allergology International 47: 247-254.
Schmidt, J. O. 1990. Hymenopteran venoms: Striving towards the ultimate defense against vertebrates, pp. 387-419. In: D. L. Evans & J. O. Schmidt [eds.], Insect defenses: adaptive mechanisms and strategies of prey and predators. SUNY Press, Albany, NY.
Schumacher, M. J., Schmidt, J. O. and Egen, N. B. 1989. Lethality of "killer" bee stings. Nature, 337: 413.
Schumacher, M. J., Tveten M. S., Egen, N. B. 1994. Rate and quantity of delivery of venom from honey bee stings. J Allergy Clin Immunol 93 (5): 831.
Statistische Bundesamt Deutschland – http://www.destatis.de
Insektengiftallergie. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAI) - http://www.dgaki.de/Positionspapiere/Leitlinie-Insektengiftallergie-AJ0403_186.pdf
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