3. September 2005

 

Meine Tagestour durch die Nacht der Museen begann schon um 14 Uhr - ich konnte dem einmaligen Programm-Angebot nicht widerstehen. Wer der langen Spur folgen möchte, kann dies in meinem virtuellen Atelier tun. Hier beschränkt sich die Schilderung auf die DFG-Eskapade ab 18 Uhr. Sie startete am Rathaus, in dessen historischem Ratssaal die Vergangenheit wieder aufleben sollte - das Team der Stadtführer bereitete anhand der alten Akten eine Gerichtsverhandlung vor, wie sie einst hier stattfand.

Auf der großen Treppe vor dem Rathaus fand ich Helga, Evelyn und Francky mit seiner Freundin in einer Schlange stehen ... die sich alle 10 Minuten verdoppelte. Großes Warten war angesagt - eine Beschäftigung, die ich nicht besonders gut ertrage. Wie gut, dass das Treppenleben eine unterhaltsame Abwechslung bot. Eine alte Tradition - nicht nur in Münster übrigens bekannt - ordnet an, dass ein Junggeselle, der 30 wird, diese Treppe blank fegen solle. Der ursprüngliche Bezug zielte in Richtung: Treppe zum Standesamt vorbereiten.

Nun kamen also unterschiedlich kostümierte Schwellenkandidaten mit Freunden, die dafür sorgten, dass es massig zu fegen gab. Der erste Kandidat, den wir sahen, musste die Treppe voller Bierkorken freiräumen. Für den zweiten - der Büro-Abstammung wohl - wurden zwei große Säcke mit Papierschnipseln aus dem Aktenvernichter ausgeschüttet. Diese Aufgabe musste die fleißige Biene Maja mit einer ... Zahnbürste bewältigen. Ob ihr später ein richtiger Besen zu Hilfe kam, weiß ich nicht, denn nun bewegte sich unsere Schlange und wir verschwanden in der Bürgerhalle. Eine Stunde später sahen wir die Treppe blitze blank ... (Ich schildere den Treppenfall wegen Andreas T. ... Mitte Oktober ist er dran.)

In der Halle verflog die Freude schnell - in die erste Verhandlung passten wir nicht hinein. Fast vor unserer Nase hat man die Tür zum Friedenssaal zugeschlagen - also weitere Übung in Geduld. Francky gab auf und nun waren wir nur noch zu dritt. Nach einer halben Stunde kam der Gerichtsherold und verkündete, dass das Gericht ein Urteil zu fällen habe in einer Sache aus der Zeit nach der Bezwingung der Wiedertäufer in Münster durch den Fürstbischof von Waldeck. Das erlaubte uns, das Ziel unserer Zeitreise in die Vergangenheit ungefähr zu orten..

Nun betraten wir den Friedenssaal. Der Wartezins zahlte sich in besten Plätzen in der ersten Reihe aus. Nur noch die schweren Prüfbalken trennten uns von der Geschicht'. Sie gelten als 'Prüfstein' - wenn sie sich biegen, wisse das Gericht Bescheid ...

Der Richter kam herein, ernannte schnell zwei Bürger aus dem Publikum zu Schöffen und die Verhandlung der Sache: Anna Pohlmann konnte beginnen.

Der Gegenstand des Streites - Nachlass des kürzlich beim Reiten verunfallten Fürstbischofs von Waldeck - bekannt als Kanonadenbischof, der das Königreich der Wiedertäufer in Münster 5 Jahre lang belagerte und auch bezwang. Das sicherte ihm den Platz im Panteon der deutschen Geschichtshelden. Die Gerichtsverhandlung kratzt mächtig an der Bronzestatue des katholischen Kirchenfürsten - sehr zur Freude des 'empört' knurrenden Publikums. Familien-Belange und die Finazierung der langen Belagerung verzehrte so ziemlich alles Vermögen des Ehrwürdigen. Nun gilt es zu entscheiden, wer das übriggebliebene kostbare Messgewand erben solle. Der Physikus der Stadt macht sein Recht geltend ... als Mediziner des Patienten ohne Erben. Anna Pohlmann, die der Gegner als machthungrige Hausmagd sehen möchte, meldet ihr Erbrecht an ... als Ehefrau und das seit über 20 Jahren (nur eine lutherische Heirat war möglich, aber immerhin) und als Mutter von acht Kindern des Bischofs, die inzwischen allesamt zu ehrwürdigen Bürgern geworden sind, und durchaus materiell abgesichert wurden. Eine schriftliche Urkunde sei zwar in einem Kirchenbrand verraucht, aber es gäbe viele Zeugen. Anna Pohlmanns Anliegen wird von der im Haushalt mitlebenden Schwester, dem Stiefsohn(!) - einem Rechtsanwalt, und von der Tochter, einer Nonne unterstützt. Der Physikus zittiert regionale Adelige an seine Seite.

Die ganze Story bekommen Sie hier nicht - vonwegen - reihen Sie sich nächstes Jahr mit in die Schlange am Rathaus ein. Einen so unterhaltsamen Geschichtsunterricht finden Sie sonst nirgendswo. Recht hatte Evelyn, die mich bei meinen Ungeduldkanonaden beschwichtigte - das Warten lohnt sich.

 

Nach der Gerichtsverhandlung gingen wir erstmal zum Lamberti-Kirchplatz, wo um 19 Uhr eine Performance der Galerie Ostendorff beginnen sollte. Der Dortmunder Künstler Bernd Moenikes bearbeitete Baumstämme mit diversen Motorsägen zu Skulpturen, die bei Einbruch der Dunkelheit bei Musik mit Feuertaufe bedacht werden sollten. Das Spektakel hieß Lieder für den Feuerbaum. Von dem Geschehen bekamen wir leider kaum was mit - nur die Säge erreicht unsere Ohren. Der Künstler wurde leider nicht auf eine Bühne gestellt und sein Wirken war nur für die ersten Reihen der ihn umkreisenden Zuschauer zu sehen. (Das Foto habe ich später der Website von Ostendorff entliehen. Da können Sie auch mehr von der Veranstaltung sehen und erfahren.)

 

Nach wenigen Minuten zogen wir zu dem heute swingenden Horsteberg hinterm Domplatz.

Das Glück war uns wohlgesonnen, denn unterwegs wurden wir von Olga gefunden, die bis jetzt vergeblich versucht hatte, Helga per Handy zu erreichen. Das Foto zeigt die drei Damen im forschen Anmarsch - kurz vor dem Ziel.

Der Kameralinse entging auch eine weitere Station des gullyRadio nicht (ich sah schon mehrere am Nachmittag) - dazu war die Kulisse zu herrlich. Übrigens ... die weißblauen Häuschen heißen toi, toi

Vier zusammen montierte Fotos versuchen, das ganze Panorama des dämmernden Ortes wiederzugeben. Ein Konzert endete vor einer Weile, das nächste wurde erst vorbereitet - daher herrschte Ruhe auf dem Platz und wir konnte noch gut auswählen, wo wir uns setzen. Fünf Minuten später hätten wir nur noch zwischen Stehplätzen zu wählen. An den gestreuten Tischen konnte man Delikatessen der Butterhandlung Holstein genießen und ich absolvierte schnell das ausgefallene Mittagessen.

Voilà unser Logenplatz in der ersten Reihe, so könnte man noch einen langen Abend genießen. Mich drängte es aber nach Weitergehen. Nach wenigen Konzertminuten wusste ich nämlich, dass ich kein Swing-Fun werden würde - egal wie renomiert die Sängerin war. Meine Zeit rief nach anderen Inhalten. Wir zogen in Richtung Rosenplatz, wo ja um acht Uhr die Lesung Unter der Spiegelkugel angefangen hat.

Unterwegs lockte uns eine ungewöhnliche Ausstellung vom Weg. In den kahlen Räumen der Baustelle eines einstigen China-Restaurants installierten sich kurzerhand einige junge Künstler. Die Schäbigkeit der Kulisse hatte etwas Absurdes, etwas Irreales verstrahlt. Wir gingen in die Tiefe des langen Raums und staunten, dass es hier unverständlicherweise schön oder zumindest faszinierend ist. Das Foto zeigt einen Frauenakt, den ich schön fand - vor allem das Gesicht war eindrucksvoll gezeichnet. Mein Interesse zog den Künstler aus dem Versteck hervor und er erzählte mir kurz, wie es zu der Ausstellung kam..

Nächste 'Ablenkung'. Entspannter Austausch in der Galerie Spiekerhof. Herrliche Spektralbilder und ... zwei versteinerte Baumstämme zu bewundern - uralt natürlich. Beim bloßen Anblick habe ich gedacht, es wären mit Poliesterschicht überzogene Stämme unserer Zeit, bis die Berührung sagte, dass das einstige Holz zum kühlen Stein wurde, dessen Schnittfläche von Menschenhand glattpoliert war. 150 Millionen Jahre ..! unfassbar langer Lebensatem.

Kurz vorm Rosenplatz schließt sich uns Inge an. Und der Flugblatt-Matadore in persona kreuzt unseren Weg. Sein Cassetten-Radio im Gepäckt donnerte die Klangkulisse einer Stierkampfarena in den dunklen Abend hinaus und alle schauten sich nach dem spanischen Helden um ...

 

Wir berieten uns kurz ... zum Rosenplatz oder doch Kurswechsel zum Westfälischen Landesmuseum? In der Nacht der Museen sollte man doch zumindest eines von innen gesehen haben, oder? In einer Viertelstunde soll im Landesmuseum eine Führung zum Thema Verführung in der Kunst beginnen. Das Thema verfehlt nicht seine Wirkung. Wir eilen zum Domplatz. Unterwegs schließen sich Annette mit Ralf an; im Museum kommt noch Ulrich hinzu.Wenn's so weiter geht, haben wir bald die ganze DFG zusammen...

 

Das Museum ist gerammelt voll. Die Führung - eine Katastrophe. Das nervöse Mädel erklärt uns, dass die Verführung bei Adam und Eva angefangen hätte, und die Bildszene von Kranach eine besondere Variante zeige, weil das Ur-Paar beisammen stehe und nicht durch den Baum der Erkenntnis getrennt. Und wir kriegen es eigentlich deswegen zu sehen, weil die Zensur jener Zeit weniger biblische Akt-Bilder ausschloss. Nach jedem Satz scheint der Verdacht unsere Führerin zu beschleichen, dass da etwas nicht stimme und sie schaut sich unruhig nach dem Bild um: Stehen sie noch da? Ganz nackt? Richtig zusammen? Meine Geduld reicht nur bis zum zweiten Bild. Den sterbenden Märtyrer (Hl. Sebastian?) lasse ich im Stich und wandere alleine los, um gleich die abtrünigen Annette und Ralf zu treffen. Alle Räume sind hoffnungslos überfüllt; wir kämpfen uns zum Ausgang durch und beschließen als nächstes die Design Lounge hinterm Rathaus nzusteuern.

 

Auch hier ist es gerammelt voll, in der dichten Menschenmenge kann man sich kaum bewegen. Und doch stimmt die Atmosphäre des Ortes. Ein leuchtender Festplatz mit Musik, Unterhaltung, Imbiss-Möglichkeit. Meine schlichte Kamera war leider nicht fähig, das Lichtspektakel festzuhalten - also musste das Internet die Impressionen beisteuern.

Man kann wirklich an Wunder zu glauben anfangen, wenn man überlegt, wie schwer es sein müsste, in diesem Gedränge 'die Seinen' zu treffen, und doch, wir trafen auf Christine und Mauella, die sich aber schnell auf den Weg machten. Meine Begleiter absolvierten noch in Ruhe ihr Abendessen und wir gingen zur Studio-Zentrale von gullyRadio. Die Ohrpilot(en) waren natürlich im vollen Einsatz - wie am Donnerstag Abend, als ich hier war! Echt bewundernswert.

 

Nun ist aber endgültig der Rosenplatz dran! Wir dürfen keiner Ablenkung mehr nachgeben!

Unterwegs passieren wir den leeren Platz an der Lambertikirche. Annette und Ralf haben hier vorher gesehen, wie der Künstler mit Feuer hantierte. Nun ist alles vorbei. Schade, das wollte ich wirklich erleben.

Bernd Moenikes packt in Ruhe seine Sachen, aber einige seiner Werke sind noch zu sehen. Die fertige Skulptur Flehender Baum wurde allerdings schon weggebracht. Sie soll nun zwei Wochen lang in einem Schaufenster ausgestellt (Foto ganz rechts) und schriftlich versteigert werden. Der Erlös wird dann einem guten Zweckt zugeführt. Wenn Sie mit-steigern möchten: http://www.ostendorff.de/

Am Rosenplatz husche ich nochmals durch die Pankok-Orlik Ausstellung im Kunstkontor. Der leere Boxerring in der Goeken Galerie sinnt verschwiegen dem Kampf in der Kunst nach. Aber die Heroen in der Hollenbecker Straße empfangen noch Besuch.

Tja, um das alles zu sehen, hätte man auf so vieles andere verzichten müssen... Unser Auge streift über die kommentierten Fotos an den Wänden und niedliche Modelle des gewaltigen Hermansdenkmals. Eine Videowand zeigt eine unedlich lange Szene, die mehr zum Thema Vertrauen als Heldentum aussagt. Der Bogenschütze und sein potenzielles Pfeilopfer lassen sich gleichzeitig nach hinten fallen und halten sich dabei an seinem gespannten Bogen fest. Würde er loslassen, tötet sein Pfeil in Sekundenschnelle die Frau. Würde sie loslassen ... entgeht sie auch nicht dem Pfeil. Das beihnahe-Standbild lässt dem Betrachter viel Raum zum Sinnieren, ob und wenn wieviel Mut und Risiko im Spiel der beiden schwingt. Dass die Szene gestellt ist, ändert ja nichts an der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die ja kein Mensch unter seiner Kontrolle hat...

Eines ist klar ... Im nächsten Jahr werde ich den Rosenplatz in meinem Programm stärker beachten.

 

Fast Mitternacht geworden. Meine Füße ... brennen Alarm! Wie gut, dass mein Auto in der Nähe steht. Das war's für heute. Gute Nacht!

Kommentar von Alina Köttgen