Geht die Macht vom Volke aus?

Die Bundesbürger sind höchst unzufrieden mit ihrem Einfluss auf die Politik. Nach einer unlängst veröffentlichten Forsa-Umfrage für das Magazin Stern glauben 82 Prozent, dass auf die Interessen des Volkes keine Rücksicht genommen wird. In Ostdeutschland sind es sogar 90 Prozent. Nur 18 Prozent sind bundesweit der Meinung, dass „das Volk etwas zu sagen hat". Und nur fünf Prozent der 1.001 Befragten denken, dass man mit Wahlen „in starkem Maße" die Politik mitbestimmen könne. 48 Prozent glauben, dass sie mit Wahlen „etwas" Einfluss ausüben könnten, dagegen meinen 47 Prozent, dass sie die Politik durch Wahlen gar nicht beeinflussen. Mit dem politischen System, wie es im Grundgesetz festgelegt ist, sind der Umfrage zufolge 36 Prozent unzufrieden, mit dem tatsächlichen Funktionieren des Systems 61 Prozent. In Ostdeutschland ist sogar eine Mehrheit von 51 Prozent mit dem politischen System unzufrieden, 79 % mit dessen Funktionieren. Andererseits: Eine überwältigende Mehrheit von 80 % tritt für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auch auf Bundesebene ein. Anlass für Prof. Franz Thedieck, Mitglied des Kuratoriums von Mehr Demokratie e.V., der Frage nach der Zukunftstauglichkeit der repräsentativen Demokratie nachzugehen...

Vom Verfall der repräsentativen Demokratie

Oder: Können Bürger und Demokratie wieder zusammenfinden?

VON FRANZ THEDIECK, KEHL

Der 1992 verstorbene bayerische Politiker Franz-JosefStrauss kommentierte das System der direkten Demokratie abfällig mit dem Ausspruch: „Vox populi - vox bovi ! " Nach seiner Meinung war der politische Prozess viel zu komplex, als dass der einfache Bürger ihn begreifen konnte. Vor zu viel Mitentscheidung müsse die Politik und müssten die Politiker bewahrt werden. Die Politik sei zu komplex, um vom Bürger verstanden und entschieden zu werden.

Heute, nach den negativ ausgegangenen Referenden in Frankreich und den Niederlanden zum Europäischen Verfassungsvertrag, hat dieses Argument Hochkonjunktur: Wenn das Volk anders reagiert, als die Politiker vorhergesehen haben, so ist der Fehler nicht bei den Politikern oder

in der Politik zu suchen, sondern beim Volk. Es sei eben nicht in der Lage, die Zusammenhänge politischer Entscheidungen zu verstehen.

Wie reformtauglich ist unser politisches System?

Aber drehen wier den Spieß doch einfach mal um: Wie geeignet ist das gegenwärtige repräsentative System zur Lösung der im 21. Jahrhundert anstehenden Probleme? Bei der Bewertung eines politischen Systems geht es insbesondere darum, ob es geeignet ist, die relevanten gesellschaftlichen Fragen zu erkennen, zu definieren, zu diskutieren und einer nachhaltigen1 Lösung zuzuführen. Zur Nachhaltigkeit gibt es eine Reihe von Definitionsversuchen. Mich überzeugt am meisten diejenige von Mi-

l )Hierzu Andreas Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, Tübingen 2006

 

 

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