Forschungsstelle Für Gestaltung


JOHANNES ERNST SEIFFERT

Vom Arbeiten und vom Warten

Hinweise und Fragen

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Das Folgende mag etwas befremdlich anmuten. Weit außerhalb des, das allgemeine Umkommen produzierenden Wissenschaftsbetriebs findet es als seine Infrastruktur die Haltestelle. In keinerlei Immobilien ein gezäunt, gar betonbewehrt, atmet es, hoffentlich, Aufbruch.


Philo-sophisch, d. i. cultur-revolutionar, existieren

Herkömmlich werden im Bereich der Philosophie drei Grundweisen des Denkens unterschieden: - theoretische Vernunft,

- praktische Vernunft,

- poietische (gestalterische) Vernunft.

Die letztgenannte blieb in der Geschichte der Philosophie vielsagend unterentwickelt: Grund genug, bei eben dieser Ausfallerscheinung - hinsichtlich Denkart und Existierweise: revolutionär- anzusetzen. Zunächst gilt es - und dies »zunächst« ist je-der Augenblick! -, kodifizierte »Philosophie« in »philo-so phisch sein« zurückzunehmen, d.i. zurück- und da mit vorauszuübersetzen in Geschehen meines (dei nes) Existierens. Hierfür ist Hingabe ohne bour geoise Vorbehalte gefordert. Philo-sophisch-sein be sagt, mein, dein Existieren dem sophon, d.i. dem Über-legenen, das Göttern und Menschen über ist, auszusetzen, zu weihen, zu widmen, darzubringen. Dies ständig, d. i. je und je ursprünglich, einsetzende Zurückübersetzen der Philosophie in Philo-so phisch-sein birgt den hohen Anspruch an den Men schen, Welt- und Wegweisheit walten zu lassen. Dies Ansprüchliche nennen wir Cultur. Wir schreiben den im philo-sophisch-sein beschlossenen Anspruch auf Welt- und Wegweisheit, dies Hohe, das uns zu halten und zu hüten vermöchte, diese Cultur mit C, um dies Ansprüchliche von dem Allerweltswort Kultur abzuheben. Gemeint ist Unbefangenheit im Zartumfangensein .

Es gibt einen zweiten Grund, Cultur mit C zu schrei ben. Das Wort »cultura« kommt von »colere«, d.h. »bebauen«, »pflegen«. Darin ist das Andenken an das Erdverhältnis, der Bezug des Menschen zur Erde auf gehoben. Ohne diesen pfleglichen Bezug kann die Erde nicht Erde sein und kann auf die Dauer der Mensch nicht sein. Jenes Zurücknehmen der Philosophie in Existieren gilt vorab für den Titel »Kulturphilosophie«. Dieser ist nur sinnvoll als eine pragmatische, »äußerlich« bleibende Kennmarke für: »cultur-philo-sophisch sein«, d. i. existieren; anders gesagt: für philo-sophi sches und aus diesem Ursprung cultur-revolutionäres Sein von Menschen in technologiegeschädigt-einstür zend-verfallender Welt. Ein unverzichtbarer Wesenszug solchen Existierens ist das arbeitende Destruieren der naturwissenschaft lich, d. i. rechnend geprägten Denkweise, die in ihrem Wesen imperialistisch ist. Wo nicht hieran generatio nenlang gearbeitet wird, dies Einstürzen-machende, dies ruinös Machenschaftliche selber zum Einsturz zu bringen, kann nicht ernsthaft von Culturrevolution die Rede sein. Daß so zu arbeiten möglich ist, weisen uns Martin Heideggers »Zollikoner Seminare«, aus der zweiten Generation solchen culturrevolutionären Arbeitens Hanspeter Padrutts »Der epochale Winter. Zeitgemäße Betrachtungen«. Als eine verwandte Be mühung ist auch diese hier gemeint.


>Das Arbeiten« im Unterschied zu »Die Arbeit«. -Ein begrifflicher Notbehelf -

Durch Cezanne, Rilke, Heidegger und Hohl wurde die Möglichkeit des Menschen im Arbeiten gesehen und umrissen. Rilke schreibt in einem Brief vom 3.0ktober I907:

Man ist ja noch immer so weit vom Immer-arbeiten können. Van Gogh konnte vielleicht die Fassung ver lieren, aber die Arbeit war noch hinter der Fassung, aus ihr konnte er nicht mehr herausfallen. [...] es ist das natürliche Wohlsein in diesem Einen, an das nichts anderes heranreicht.

Dies Phänomen, das dem Arbeitenden Fassung erst gibt, betiteln wir terminologisch als »das Arbeiten«. Dies, sagt Ludwig Hohl auf der ersten Seite seines Werkes »Notizen«, geschieht »mit einem ganz an dern Ernste, als jenes Tun geschieht, in dem dich fremde, äußere Mächte gefangen halten«. Und er sagt dort: Solches Tun ist »das einzige, was Leben gibt, was retten kann. Solches Tun nenne ich Arbeiten.« Und:

Arbeiten ist das einzige, bei dem einem kein anderer helfen kann. Denn beim Nähen und Mähen kann ein anderer helfen, beim Abschreiben, [...] nicht beim Arbeiten. (S. II)

Und:

Man darf nicht enden, darauf aufmerksam zu ma chen, daß die meisten Menschen sich vor dem Arbei ten flüchten nicht in die Faulheit - nicht in die appa rente Faulheit-, sondern in eine total tote Beschäfti gung; nicht in die Bewegungslosigkeit [. . .] die wahre heutige Faulheit besteht in einer toten Bewegung. (S. 13)

Und:

Arbeiten ist nichts anderes als aus dem Sterblichen übersetzen in das, was weitergeht. (S. 40, S. 687)

Es handelt sich hier nicht um den Arbeitsbegriff der Sozialwissenschaftler, gar den der Naturwissen schaftler. Es handelt sich nicht um den Begriff der Erwerbsarbeit. Das Arbeiten ist dasjenige, was Jean Giono in »Der Mann mit den Bäumen« (»Un carac tere«) beschreibt. Dieser verdient seinen Lebensun terhalt als Schäfer. Etwas grob unterschieden läßt sich sagen: Dies ist seine Arbeit. Sein Arbeiten ist etwas anderes:

Der Hirte [...] holte einen kleinen Sack und schüt telte einen Haufen Eicheln auf den Tisch. Er machte sich daran, sie genau zu untersuchen, indem er die guten von den schlechten ausschied. [...] Ich bot mich an, ihm zu helfen. Aber er meinte, das sei schon sein Geschä~t. ~nd in der ~at: In Anbetracht der Sorgfalt, die er für diese Arbeit aufbrachte, insistierte ich nicht. [...] Als er einen ziemlich großen Haufen guter Eicheln auf der Seite hatte, zählte er sie ab in Gruppen von zehn. Dabei schied er noch die kleinen aus und die, welche leichte Risse hatten; denn er prüfte sie sehr genau. Als er endlich hundert vollkom mene Eicheln vor sich hatte, hörte er auf [...]. (»Der Mann mit den Bäumen«, S. I0)

Am nächsten Tag überläßt er seine kleine Herde der Obhut des Hundes und geht, mit einem Eichenstab ausgerüstet, zweihundert Meter höher.

Als er angekommen war da, wo er hin wollte, begann er, seinen Eichenstab in den Boden zu stoßen. So machte er ein Loch und legte eine Eichel hinein, dann machte er es wieder zu. Er pflanzte Eichen. Ich fragte ihn, ob das Land ihm gehöre. Nein, antwortete er. Ob er wisse, wem es gehöre. Er wußte es nicht. [...] Ihn focht es nicht an, daß er den Besitzer nicht kannte. Er setzte so hundert Eicheln mit größter Sorgfalt.

[. . .] Seit drei Jahren pflanzte er Bäume in dieser Ein samkeit. Er hatte bereits I00.000 gepflanzt. Von den I00.000 hatten 20,000 getrieben. Von diesen 20.000, so rechne er, werde er noch die Hälfte verlieren durch die Nagetiere oder durch Umstände, die nicht voraus zusehen sind [. . .]. Es blieben also I0. 000, die hervor sproßten, da, wo es vorher nichts gegeben hatte. (S. II&emdash;S. r3)

Der Schäfer dehnte dies auf andere Baumarten aus. Nach zehn Jahren waren die Eichen höher als er und sein Besucher (Giono), der wiedergekommen war. Er hatte die Herde auf vier Schafe verringert, da die Tiere den Wald anfraßen, und dafür hundert Bienenstöcke aufgestellt. Zu besagten zehnJahren gehörten auch die vier des Ersten Weltkriegs, welche die Menschheit durcheinandergerüttelt hatten. Aber Geschichte ist nicht bloß Kanonendonner und Materialschlacht. Der Wald des Schäfers wuchs mit den Jahrzehnten so mächtig, daß verfallene Dörfer wieder auflebten und dort Menschen wohnen konnten. Ausgetrocknete Bäche flossen wieder.

Ein Arbeiten wie dasjenige dieses Schäfers Elzeard Bouffier würde in Deutschland von den ach so zustän digen Behörden unterbunden werden. Aber auch in Frankreich war es schließlich eine Behörde, das Kriegsministerium, das den Wald Bouffiers wieder vernichtete. Militärische Anlagen einschließlich nu klearer Force de frappe »mußten« dorthin, um den Pseudomythos der »Nation«, die unwahre »Größe« aufrechtzuerhalten. Die wirkliche Größe aber lag in dem entgeltlosen Arbeiten Bouffiers: Sie ist sein Ver mächtnis, das neue und vielleicht andere Früchte tra gen zu lassen, Sache von uns Nachgeborenen als nun mehr Arbeitenden ist. (Jean Giono, Der Mann mit den Bäumen, Ubersetzung aus dem Französischen und Nachwort von Walter Tappolet, Zürich I98I)

So unterscheiden wir also das Arbeiten von der Lohn und Fronarbeit. Diese Unterscheidung ist nicht so zialwissenschaftlich, nicht einmal kultursoziolo gisch, sondern cultur-philo-sophisch. Ein in diesem Sinn Arbeitender setzt sich dem Über-legenen aus und gewinnt darin seine Fassung (caractere): Stand und Gang seines Lebens und der weiteren ihm unver meidlich unbekannt bleibenden Wirksamkeit. Ein Hinweis ist noch darauf erfordert, daß unsere Unterscheidung zwischen Arbeit und Arbeiten ein Notbehelf und als solcher strenggenommen zu grob, wenngleich in Annäherung als Richtlinie fürs tägliche Verhalten brauchbar ist. Reden wir hier noch einen Augenblick von derjenigen Arbeit, die sich vom Arbeiten unterscheidet und al lein dadurch schon Arbeitsleid in sich mitführen kann. Der Philosoph Bruno Liebrucks sagt in seiner Autobiographie unter der Überschrift »Arbeit«:

Ein kleiner Junge steht auf einem Fußbänkchen vor dem Herd und wäscht das Geschirr von dem Mittag essen einer siebenköpfigen Familie ab.

Needless to say: Der kleine Junge ist der Erzähler, Liebrucks. Er will mit seiner Erzählung darlegen, daß dasjenige, was wir »Arbeiten« nennen, dadurch ge fördert werden kann, daß einer »im Schweiße seines Angesichts« gelernt hat, was »Arbeit« heißt. Liebrucks führt aus:

Vorher hatte er damit begonnen, die Küche aufzuräu men. Das fing in der linken Ecke an, wo unmittelbar neben der Tür, die in den großen Keller führte, die Brottrommel stand. Die Trommel für das von der Mutter gebackene Brot muß man sich als einen Zylin der vorstellen, der beinahe so hoch ist, wie der Junge. Er muß von außen abgerieben werden. Dann kommt der Tisch an die Reihe, auf dem das Geschirr steht, von den Kochtöpfen bis zu den Teelöffeln. Er wird abgeräumt, das Geschirr kommt auf die Herdplatte. Damals waren die Herde noch so groß, daß das ganze Mittagsgeschirr auf ihnen Platz hatte. Dann wird der Tisch abgewischt. Es folgt das Aufräumen des Kü chenschrankes, was mit ein paar Handgriffen getan

Es ist schön und echt denkerisch, daß Liebrucks hier die Bewegungen der Hand wenigstens erwähnt. Von solchen wußte Heidegger, und im Bereich seiner Wir kung wird an diesem Wissen weitergearbeitet (in Bal lenhausen von Gustav von Campe im Rahmen der Scheidemannschen Stiftung). - Liebrucks fährt fort: Der Junge

wendet sich zu der anderen Außenseite, die ein Fenster hat, dessen Fensterbrett wiederum abgewischt werden muß, um an einen Stuhl zu gelangen, auf dem vielleicht etwas steht, was dort nicht hingehört. [...] Der Steinfußboden wird gefegt und gewischt. Dann geht es an das Abwaschen, das Trocknen und Einstel len des Geschirrs. Als alles fertig war, stellte sich das bei solcher Gelegenheit erstmals deutlich erfahrbare Gefühl nach getaner Arbeit ( ! ) ein. Bei späteren Wie derholungen gewinnt die Arbeit einen leicht zeremo niellen Charakter. Vergleichbares habe ich nach dem Zweiten Weltkrieg in den Nachrichten vom Zen Buddhismus gefunden. (Philosophie in Selbstdarstellungen II, I975, S. I85)

Der »Pfiff« an der Arbeit ist, an nichts anderes als an sie zu denken. Auf diese Weise wird sie geistig getan. Dies schafft eine Disposition für weit, weit mehr, worauf mit Nachdruck der Magus im Süden hinweist (Bo Yin Ra, Das Buch des Trostes, S. 37-49). Dreierlei ist also zu unterscheiden: I.das Arbeiten, 2. die als Fron getane Arbeit, 3 . die geistig getane Ar beit. Weltzustand und Globalsituation erfordern im 20.Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, einen star ken Akzent auf das Arbeiten zu legen.

Johannes Ernst Seiffert 1989