Kultur macht Schule in Forum Schule, Magazin für Lehrerinnen und LehrerÜber den Stellenwert kultureller Bildung in der Schule
Von Max Fuchs
Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut. In Zeiten von PISA und anderen Schulstudien hat es die kulturelle Bildung nicht immer leicht, Beachtung zu finden. Erschwerend kommt hinzu, dass schulische und außerschulische Akteure in der Regel einem unterschiedlichen Bildungsverständnis folgen. Grundlage aller Bemühungen sollte jedoch die Feststellung sein, dass Kultur in der Schule viel mehr ist als Kunst- und Musikunterricht.
Bunt und abwechslungsreich: Kultur in der Schule
Viele Menschen, darunter insbesondere diejenigen, die mit Schule beruflich zu tun haben, können das Wort PISA kaum noch hören. Das ist verständlich. Allerdings hat diese inzwischen entstandene Reserviertheit nicht nur mit dem schlechten Abschneiden der getesteten Schülerinnen und Schüler zu tun: Unerfreulich waren auch einige der Debatten in Politik und Öffentlichkeit. So konnte man zum Beispiel Zeuge werden bei dem beliebten Spiel Schwarzer Peter. Ein lebendiger Kreis an Schuldverschiebungen und Schuldzuweisungen fand nämlich statt: Von der Sekundarstufe auf die Grundschule, von dieser auf den Kindergarten; der wehrte sich mit der Benennung der Eltern, die wiederum in den Medien und unzureichenden öffentlichen Fördermaßnahmen die Hauptschuldigen sahen. So unerfreulich das war: Immerhin steckt in diesem geschlossenen Regelkreis eine Menge Wahrheit. Zum Beispiel die, dass Schule und Schulerfolg alle angeht. In der Wissenschaft bezeichnet man dies mit einem Begriff aus der Filmbranche: Koproduktion. Alle Genannten und auch noch einige mehr sind nämlich eine Verantwortungsgemeinschaft, denn alle haben Anteil daran, was in der Schule geschieht. Das beginnt schon bei einer so banalen Feststellung, dass das bei PISA erfolgreiche Schweden nach OECD-Maßstäben 60 Prozent mehr Geld für Bildung ausgibt als Deutschland, pro Schüler, versteht sich. Alle Genannten, die gerne schwedische Ergebnisse hätten, müssten daher zunächst einmal schwedische Finanzbedingungen herstellen. Und noch etwas fällt bei den erfolgreichen Systemen auf: Eine hohe Wertschätzung der Schule und vor allem ihres Personals, eine hohe Wertschätzung der Schüler, ein sorgfältiger Umgang mit der Schule als Raum.
Drei Räume, die in keinem Lehrplan stehen
Raum heißt dabei zumindest ein Dreifaches: Als gegenständlicher Raum, also als Gebäude, Pausenhof, Gartenanlage wirkt Schule unmittelbar sinnlich auf alle, die sich darin bewegen. Es ist kein Wunder, wenn Schulen, die noch aus alter Zeit erhalten sind, so bedrohlich wirken. Denn Schulen sind Teil des Staates, und dieser war lange Zeit autoritärer Obrigkeitsstaat. An seiner Architektur konnte man es ablesen. Schule ist zudem sozialer Raum, ein Geflecht vielfältigster sozialer Beziehungen zwischen den beteiligten Menschengruppen. Und diese sind viel zahlreicher als die Lehrer und Schüler, an die man sofort denkt: Verwaltungskräfte, Hausmeister, Putzkräfte, Handwerker, Eltern, Krankenschwestern, Sozialarbeiter etc. Der gegenständliche Raum hat einen großen Anteil an der Steuerung sozialer Abläufe, also auf den sozialen Raum. Das erste, was einem an schwedischen Schulen auffällt, ist, dass sie gar nicht wie Schulen aussehen. Wer einmal versucht, andere Sozialformen im Unterricht zu praktizieren oder andere Pausengestaltungen auszuprobieren, weiß, wie sehr der gegenständliche Raum das Soziale prägt. Heute ist gerade der vorhandene gegenständliche Raum ein großes Hindernis, wenn Schulen im Ganztagsprogramm andere Angebote ausprobieren wollen: Ein Künstler-Atelier, eine Spielaktion, eine Choreographie haben eben auch bestimmte Anforderungen an die räumlichen Bedingungen, wenn sie funktionieren sollen. In der Soziologie spricht man sogar inzwischen wieder von der gegenständlichen Determination des Sozialen. Die dritte Ebene des Raumes ist der symbolische Raum. Mit einer Wohnung kann man Menschen ermorden, so schon Altmeister Heinrich Zille, der sich auf die hingeschluderten Wohnkasernen Berlins bezog. Das Symbolische schließt die ästhetische Gestaltung ein, die Wirkung von Farben und Formen. Symbolische Macht entsteht jedoch auch durch Nutzungsgebote und -verbote. Einer der bedeutendsten Soziologen der letzten Jahrzehnte, Pierre Bourdieu, begann seine Karriere mit dem Studium der Nutzung und symbolischen Aufladung von Häusern in Nordafrika.
Kooperationen von Schule und Jugendbildung - Das Projekt "Kultur macht Schule"
Mit dem Projekt "Kultur macht Schule" unterstützt die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) in Remscheid Kooperationen zwischen Ganztagsschulen und Trägern der kulturellen Kinder- und Jugendbildung. Eine Datenbank informiert über Best-Practice-Projekte. Allein aus Nordrhein-Westfalen sind darin weit über 30 Projekte verzeichnet, die zeigen, wie eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Schule und außerschulischen Partnern mit dem Ziel einer gemeinsamen Gestaltung von Lern- und Lebenswelten aussehen kann.
www.kultur-macht-schule.de
Christian Rittelmeyer, lange Zeit Pädagogikprofessor in Göttingen, hat viel Energie in das Studium der Wirkungen von Schularchitektur und Schulgestaltung gesteckt. Die Verhältnisse erziehen, sagte schon Schleiermacher. Und Siegfried Bernfeld, Erziehungskritiker der Weimarer Zeit, hat diese Idee zu dem Konzept des heimlichen Lehrplans verdichtet. Schule ist nämlich ein Haus des Lernens im wörtlichen Sinne: Das Haus selbst und seine sozialen Beziehungen, die es zulässt oder verhindert, ist ein in keinem Lehrplan auftauchender Lehrmeister.
Ein kleiner Exkurs in die Kulturtheorie
Was hat all dies mit Kultur zu tun, die gemäß dem Titel Schule macht? Ein kleiner Exkurs in die Kulturtheorie gibt die Antwort. So gibt es zunächst einmal die materielle Kultur, also all das, was der Mensch an gestalteten Artefakten hinterlässt und das nachwachsende Generationen vorfinden. Diese materielle Kultur ist ein Speicher von Erkenntnissen und Werten, der quasi unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle wirksam wird. Allerdings: Man kann lernen, die geheimen Botschaften zu entschlüsseln. Archäologen machen dies, wenn sie wieder einmal ein gestaltetes Ding gefunden haben, bei dem nicht klar ist, was es ist.
Künstler in der Schule - Das Landesprogramm "Kultur und Schule"
Mit dem Landesprogramm "Kultur und Schule" unterstützt die Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2006/07 insgesamt 707 Projekte, die von Künstlerinnen und Künstlern in der Schule durchgeführt werden. Mit insgesamt 1,5 Millionen Euro sollen der künstlerisch-kulturellen Bildung in der Schule neue Impulse gegeben werden. Im nächsten Schuljahr wird das Programm mit einem erweiterten Budget fortgesetzt. www.kultur.nrw.de
"Kultur ist spätestens seit der Weltkonferenz über Kultur-Politik in Mexiko 1982 aber auch Lebensweise, die Art, wie Menschen mit sich, anderen und der Natur umgehen. Dies ist offensichtlich die zweite Raumdimension von Schule: Schule (als Gebäude) prägt das Leben, nämlich das, das in ihr stattfindet, aber auch mit großer Ausstrahlung auf das außerschulische und das spätere Leben. Die Rede von der Lebenswelt Schule ist also durchaus wörtlich zu nehmen. Und natürlich ist Schule gestalteter Raum, ist vielfältig mit Bedeutungen aller Beteiligten versehen. Und manchmal findet man von diesen noch Spuren in den Bänken. Kultur, so eine einflussreiche Definition aus der Ethnologie (Clifford Geertz), ist ein Gewebe von Bedeutungen.
Zu wenig Mut und Vertrauen
Dem Leser, der Leserin ist sicherlich nicht entgangen, dass von der Hauptaufgabe der Schule, der systematischen Vermittlung von Wissen, Werthaltungen, Fähigkeiten, so wie sie akribisch in den Lehrplänen aufgelistet ist , noch gar nicht die Rede war. Natürlich ist all dies, quasi das Kerngeschäft von Schule, hochbedeutsam. Doch darüber wird genügend geredet: Welche Fächer welche Anteile im Lehrplan haben, welche man abwählen kann, welche nur noch alternierend angeboten werden. Auch hierbei gibt es gravierende Unterschiede zu Schweden oder Finnland. Dort sind die Lehrpläne nämlich ausgesprochen dünn. Es werden zwar verbindliche Ziele angegeben, deren Einhaltung genau überprüft wird, die Wege dahin sind jedoch weitgehend freigegeben. So entsteht eine Lehr- und Lernkultur, die die Verantwortung der Lehrenden und Lernenden ernst nimmt. Sobald man in Deutschland jedoch anfängt, dies nachmachen zu wollen, hat man schon wieder ein mehrere hundert Seiten langes Konvolut, das sich über Bildungsstandard auslässt. Auch wenn man eigentlich nicht mehr über Nationalcharaktere spricht: Aber wir Deutschen sind offenbar furchtbare Kontrollfreaks, und dies gilt insbesondere für den deutschen Staat. Wir haben zu wenig Vertrauen in den Einzelnen, zu wenig Mut zur Freiheit. Kluge Bücher sind darüber geschrieben worden, warum dies so gekommen ist (etwa Helmuth Plessner: Die verspätete Nation). Doch warum sich so wenig daran ändert, daran sind wir wohl alle schuld.
Erstaunlich ist, wie hartnäckig sich solche Dispositionen halten, sich festfressen in den Kulturen der Verwaltung. Übrigens auch im Habitus der Lehrer, denn die sind oft die ersten, die verunsichert nach Regeln, Konzepten, Mehrarbeitsausgleich etc. rufen in dem Fall, dass mal eine Schulleitung oder eine Gruppe von Lehrerkollegen die Initiative zur Veränderung ergreift.
Trotz dieser preußisch-administrativen Umklammerung von Schule lässt sich jedoch nahezu jede Facette von Schule heute ändern, ohne dass man ein Disziplinarverfahren fürchten müsste. Das fängt etwa bescheiden dort an, wo man Schüler bei der Auswahl der Deutschlektüre mitberaten lässt. Partizipation heißt dies, und sie ist durchaus ein Wundermittel. Die gesamte außerschulische Pädagogik, also diejenigen Angebote, zu denen die jungen Leute freiwillig und von selbst hinkommen, basiert auf diesem Prinzip. Pädagogik ist es auch, was da stattfindet. Es ist sogar Bildungsarbeit, die in den Jugendzentren, den Chören, den Jugendverbänden, den Theatergruppen, den Musik- und Jugendkunstschulen stattfindet. Bildung ist hier allerdings nicht ein vorgegebener Wissenskanon, sondern wird verstanden als Lebenskompetenz, die etwa soziale und sogar politische Fähigkeiten mit einschließt. Davon kann man durchaus in der Schule lernen und praktiziert es auch schon oft genug.
Lokale Bildungspartnerschaften
Damit komme ich auf den eingangs angesprochenen Gedanken von Bildung als Koproduktion zurück: Die Schule steht nicht allein mit ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag. Es gibt vielmehr eine ganze Reihe erwünschter (und unerwünschter) Miterzieher. Allerdings: Nur selten hat dieser Gedanke insofern Früchte getragen, als man ihn systematisch nutzt. Wie könnte das gehen? Zum Beispiel durch das, was man lokale Bildungspartnerschaften nennen kann. Modelle gibt es hierfür, auch in Deutschland. In München und in Hamburg gibt es inzwischen gut fundierte und vom Stadtrat beschlossene Gesamtkonzeptionen zunächst einmal für die kulturelle Bildung bei denen eine enge Zusammenarbeit zunächst einmal der Referate in der Stadtverwaltung (Schule, Jugend, Soziales, Kultur) und dann auch der einzelnen Einrichtungen verbindlich geregelt ist. Das heißt, Schule ist verortet im Stadtteil, es entsteht eine sozialraumorientierte Schule (so der Fachbegriff in der Sozialpädagogik und in der Stadtsoziologie) mit engen Kontakten auch zu den Stellen, deren Hilfe man dann braucht, wenn die Schule alleine nicht mehr weiterkommt. Es ist dies in mehrfacher Hinsicht ein Unterstützungssystem: Für die Schule, für die Lehrer und vor allem für die Schüler. Zukunftsmusik ist das nicht. Denn die sich nunmehr durchsetzende Ganztagsschule kann zwar auch dadurch entstehen, dass jede Schulleitung, jede Lehrkraft verzweifelt und für sich nach Angeboten sucht, die einige Nachmittagsstunden füllen könnten. Das Ganze könnte jedoch auch auf ein konzeptionelles Fundament gestellt werden. In der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) mit Sitz in Remscheid, läuft zurzeit das Projekt Kultur Macht Schule, das über derartige gelingende Kooperationen Informationen sammelt und auswertet.
Gut wäre es, wenn es nicht nur mehr solcher kommunalen Bildungsnetzwerke gäbe, in die sich die einzelne Schule dann einklinken könnte. Gut wäre es auch, wenn diese Initiativen die Unterstützung des Landes hätten. Schule muss und wird sich ändern. Diese Aussage ist banal, weil es geradezu ein Charakteristikum der Moderne ist, dass sich alles ständig ändert. Doch manche Änderungen kann man bewusst gestalten. Hierzu gehört zwar auch der Lehrplan. Doch zeigen die eingangs beschriebenen drei Raumdimensionen, dass neben dem Lehrplan weitere einflussreiche Wirkungs-Dimensionen existieren, die vielleicht sogar leichter zu verändern sind. Man muss sie sich nur bewusst machen und dann auch Sachkunde in dem geeigneten gestalterischen Vorgehen erwerben. Ein Bestandteil dieses Prozesses ist das erneute Bewusstwerden über die Situation und die konkreten Rahmenbedingungen der eigenen Schule. Schulprogramme sollen ohnehin geschrieben werden. Sie könnten ein guter Hebel zur Gestaltung der Veränderung sein. Das meiste muss man sich dabei noch nicht einmal selbst ausdenken. Es gibt gut dokumentierte Schulentwicklungsprojekte, in denen solche Veränderungsprozesse durchgeführt wurden (als ein ermutigendes Beispiel unter vielen für zwei Euro bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu bekommen: Enja Riegel: Schule kann gelingen, 2004). Kultur in jeder Verständnisweise spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
Ästhetische Bildung
Abschließend will ich einige Bemerkungen zur Kultur im engeren Sinne, zur ästhetischen Kultur machen. Dass Schulgebäude schön sein müssen, weil sich viele Menschen, u. a. Lehrer und Schüler, eine lange Zeit darin aufhalten, versteht sich eigentlich von selbst. Hier sind in erster Linie die Schulträger in der Pflicht. Erfahrungen zeigen, dass auch wilde Rabauken Respekt zeigen können, wenn sie die Sorgfalt spüren, die man ihrer Lebenswelt Schule hat angedeihen lassen. Natürlich meine ich auch, dass künstlerisch-ästhetische Fächer nicht vernachlässigt werden dürfen. International gibt es die Forderung, die drei Säulen der R (WRiting, Reading, ARithmetics) durch die vierte Säule (ARts) zu ergänzen. Künstler können dabei nicht nur den Kunstunterricht interessant gestalten. Vielleicht sind sogar solche Ansätze wie in Belgien noch spannender, bei denen z. B. Mathematiklehrer Künstler in ihren Unterricht einladen, um deren andere Umgangsweise mit dem Lernstoff kennenzulernen mit sehr guten Erfolgen. Hier lässt sich das Landesprogramm des Kulturstaatssekretärs Kultur und Schule sehr gut nutzen.
Die Lehrer mit künstlerischen Fächern können in Schulgestaltungs- und Schulentwicklungsprozessen ihre Kompetenzen einbringen. Sie sind Fachleute für die Gestaltung von Raum und Zeit (ja, auch von Zeit, man denke an Tanz, Musik, Theater, bei denen ein bewusster Umgang mit Zeit Grundbedingung ist).
Schulkultur ist nicht nur ästhetische Kultur, sondern ein kultiviertes Umgehen mit Sachen und Menschen. Aber immerhin: Ästhetische Kultur ist integraler Bestandteil von Schulkultur.
Prof. Dr. Max Fuchs ist Direktor der Akademie Remscheid für musische Bildung und Medienerziehung e.V.
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