DENALI National Park


In der prachtvollen subarktischen Wildnis dieses nahezu unberührten Parks breitet die Natur eine Decke aus glitzernd weißem Schnee und Felsbrocken über ein Gebiet, das größer ist als der amerikanische Bundesstaat Massachusetts. Ober das riesige, mehr als 2,5 Millionen Hektar große Land im Inneren Alaskas ziehen Herden von Karibus und Dall-Schafen. Sie verlaufen

sich in der gigantischen, einsamen Weite der Landschaft, deren majestätische Gebirgskulisse der Mount McKinley, der höchste Gipfel Nordamerikas, krönt. Die Athabascan-Indianer nannten den ständig schneebedeckten Berg Denali, »den Hohen«. Er bildet die Spitze der tausend Kilometer langen Alaska Range, die als natürliche Grenze zwischen dem gebirgigen Landesinneren im Norden und der Küstenebene im Süden verläuft.

Am Fuße des hohen Gebirgszugs liegen die baumlose Tundra und die spärlich bewaldete Taiga mit ihren träge mäandernden Flüssen, die in den Gletschern der Range entspringen. Höher als alle anderen Berge Nordamerikas, ragt der Südgipfel des Mount McKinley überraschend steil imposante 6200 Meter auf. Doch damit nicht genug: Mit 5930 Meter Höhe rangiert sein Nordgipfel gleich an zweiter Stelle. Über die Hälfte des Berges liegt unter einem dicken Eispanzer, und seine Schneefelder speisen zahllose Gletscher. Selbst im Sommer herrschen auf dem Mount McKinley frostige Temperaturen. Im Winter fällt das Thermometer zuweilen sogar unter -70 C, während eisige Windböen bis zu 240 km/h erreichen.

Beide Gipfel des Mount McKinley liegen auf dem Denali Fault, der größten geologischen Störungslinie Nordamerikas, und sie wachsen demzufolge weiter. Geologen nehmen an, daß Denali bis zu sieben sogenannte Formationengruppen umtaßt- Erdkrustenblöcke, die nicht fest miteinander verbunden sind. (Alaska soll aus bis zu 32 dieser Blöcke bestehen.) Die sieben Formationengruppen des Parks entstanden unabhängig voneinander an verschiedenen Teilen der Erde, wurden jedoch im Laufe der Jahrmillionen durch Bewegungen der Erdkruste auf ihre heutige Position zusammengeschoben. Vermutlich führte die Ankunft eines dieser Blöcke vor hundert Millionen Jahren zur Bildung der Alaska Range, deren geologische Verwerfungen und Gesteinsformationen über ihre Entstehung Aufschluß geben. Die gewaltigen Kollisionen und Horizontalverschiebungen dürften mächtige Erdbeben und Vulkanausbrüche ausgelöst haben.

 

Heute weiß man, daß es die Kula-Platte war, die sich unter das heutige Alaska schob und dabei das Gestein zu solchen Höhen aufwarf. Als Folge dieser Urgewalten zeigen die Felswände des Gebirges eine Vielzahl unterschiedlicher Gesteinsfarben. Der »Polychrome Pass«, vor dem besonders häufig Grizzlys zu beobachten sind, verdankt seinen Namen der bunten Farbpalette seines Gesteins. Cathedral Mountain und andere weniger hohe Berge sind rötlich, während der im Sommer eisfreie Igloo Mountain von einer Unzahl Geröllstücken bedeckt ist, die alle möglichen Farbtöne aufweisen. Nachdem sich die kontinentalen Eismassen vor rund 10 000 Jahren zurückgezogen hatten, begann die Vegetation allmählich wieder zu gedeihen, und im Laufe der Jahrhunderte sammelte sich eine dünne Humusschicht an. Oberhalb des Permafrosts - des seit Jahrtausenden in Eis erstarrten Dauerfrostbodens - taut im Sommer eine dünne Erdschicht gerade so weit auf, um anspruchslosen Pflanzen das Wachstum zu ermöglichen. Die beiden Hauptvegetationsformen im Denali National Park sind Tundra und Taiga. Tundra kann sowohl trocken als auch feucht sein. Auf feuchter Tundra bedecken Ried- und Wollgräser, aber auch niederes Gebüsch wie Zwergbirken oder Zwergweiden den Boden. Trockentundra-Pflanzen dagegen bilden niemals einen flächendeckenden Bewuchs. Während des kurzen Sommers leuchtet das bunte Gestein, und die sonst eher düstere Tundra entwickelt sich zu einem prachtvollen Farbenteppich, dessen Blüten Insekten anlocken, die wiederum die Vermehrung der Pflanzen sichern, bevor wieder der Winter hereinbricht. Taiga heißt auf russisch soviel wie »Land der kleinen Stöcke«, und diese Bezeichnung charakterisiert das Baumwachstum in der Nähe des Polarkreises. Die Taiga des Denali National Park, die man vorwiegend in den Flußtälern findet, besteht größtenteils aus Nordamerikanischen Weiß- und Schwarzfichten, vermischt mit Espen, Erlen, Balsampappeln und Nordamerikanischen Birken. Die weiten offenen Flächen sind mit Sträuchern bedeckt- Heidelbeeren, Weiden und Zwergbirken. In dieser unwirtlichen Gegend wachsen Bäume nur bis zu einer Höhe von allenfalls 820 Metern über dem Meeresspiegel; das heißt, daß die Waldgrenze fast 5500 Meter unter dem Gipfel des Mount McKinley liegt. Meistens verbirgt sich der Berg unter einer dichten Wolkendecke. Nur an einigen Sommertagen teilen sich die Wolken und geben den Blick auf seine massigen, schneebedeckten Konturen frei. Doch selbst dann bleibt meist ein Teil nebelverhangen. Verglichen damit wirkt das offene, weite Flachland des Nationalparks auf den ersten Blick fast wie eine Kulturlandschaft. In breiten, flachen Tälern führen die Flüsse gewaltige Mengen an Gletscherstaub mit - pulverisiertes, im Wasser verteiltes Gestein, das die Eismassen auf ihrem Weg über das Gebirge zu Staub gemahlen haben. Binnen weniger Stunden bilden sich so zuweilen natürliche Dämme, und das Wasser muß sich ein neues Flußbett suchen. Friedlich und ruhig liegt die Landschaf vor dem Betrachter - so mag die Erde ausgesehen haben, ehe die ersten Tiere das Land betraten.

Jeden Sommer kommen riesige Zugvogelschwärme aus Sibirien, Mittel- und Südamerika, um in Denali zu brüten. Viele der gefiederten Sommergäste ernähren sich von Mücken und anderen Insekten, die die kurze Wachstumsperlode der feuchten Tundra hervorbringt. Wie die subarktischen Pflanzen müssen sich auch Insekten rasch vermehren, bevor der eisige Winter seine tödlichen Schwingen über das Land breitet. Die imposantesten Bewohner dieser nördlichen Wildnis sind zweifellos die Grizzlybären, die ihren Namen den grauen (»grizzled«) Stellen in ihrem Pelz verdanken. Hunderte dieser riesigen, aber eher scheuen Bären haben ihr Revier im Denali National Park.

 

Sie haben keine natürlichen Feinde - nur der Mensch mit seinen tödlichen Feuerwaffen kann ihnen etwas anhaben, und in den meisten Regionen Nordamerikas hat er sie weitgehend ausgerottet. Obwohl Bären ebenso wie Hunde und Katzen zu den Fleischfressern gezählt werden, ernähren sie sich primär von Mischkost. Die Grizzlys von Denali fressen Beeren, kleine Pflanzen wie Wicken, gelegentlich natürlich auch ein Ziesel, Elch- oder Karibukalb, wenn sie es erbeuten können. Auch Aas - Uberreste von Tieren, die getötet wurden oder infolge hohen Alters oder Krankheit starben, verschmähen sie nicht, und das nicht nur in Mangelzeiten. Normalerweise halten Grizzlys eine ArtWinterschlaf, das heißt, sie ziehen sich in unterirdische Höhlen zurück, wo die Weibchen auch ihre Jungen zur Welt bringen. Wenn die Bärin im Frühjahr mit ihren Kindern die ersten warmen Sonnenstrahlen nutzt, ist sie besonders gefährlich, da sie den Nachwuchs gegen alle potentiellen Feinde verteidigt. Trotz ihrer Größe, Kraft und Behendigkeit sind die Grizzlys keineswegs unumschränkte Herrscher der Region.

Ein ausgewachsener Alaska-Elch hat gute Chancen gegen einen Bären, und eine Elchkuh, die ihr Kalb schützen will, wird einen Grizzly sogar in die Flucht jagen. Als größtes Mitglied der Hirschfamilie kann ein ausgewachsener Alaska-Elch bis zu 820 Kilogramm auf die Waage bringen und über 2,30 Meter Schulterhöhe erreichen. Allein das Schaufelgeweih eines Elchbullen wird bis zu vierzig Kilo schwer und zwei Meter breit. Selbst ein Raubtier wie der Grizzly muß also größte Vorsicht walten lassen, um bei einem Angriff nicht verletzt zu werden. Denali ist ein Land verblüffender Gegensätze: Grizzlys ernähren sich von winzigen Beeren; der wolkenverhangene Gipfel des Mount McKinley überragt eine Ebene mit zarter Flora. Wenn Mount McKinley für den Bestand der Wildnis steht, so repräsentieren die Bäche und Flüsse der Region deren Vitalität. Von menschlichen Eingriffen weitestgehend verschont, hat sich hier eine Wildnis in ihrer natürlichen Einheit erhalten.

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