home

Sparen mit Volksentscheiden

Wie sich Volksenscheide auf die öffentlichen Kassen auswirken. Das deutsche Finanztabu bei Volksentscheiden

von Paul Tiefenbach- in Zeitschirft für direkte Demokratie, Nr. 62, April 2004

Volkentscheide haben bei Deutschlands Politikern einen schlechten Ruf. Besonders, wenn es um Geld geht. Angesichts von Umfrageergebnissen, in denen regelmäßig 70 bis 80 Prozent der Bürger Volksentscheide wünschen, beginnen sich die Parteien zwar langsam mit der Idee abzufinden, bei wichtigen Themen das Volk zu befragen. Beim Geld hört der Spaß aber auf. „Wenigstens von den Staatsfinanzen, so das Flehen aus den Parteizentralen, sollte der gemeine Bürger die Finger lassen. Wenn das Volk erst Verfügung über die Staatskassen bekomme, seien die bald leer", wusste der Spiegel zu berichten. Der Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen. Die ohnehin schon restriktive Volksentscheidgesetzgebung in allen Bundesländern enthält zusätzlich noch ein so genanntes " Finanztabu": Volksentscheide dürfen in den Landeshaushalt nicht eingreifen. Andere Staaten kennen das Finanztabu nicht. Der Bürger kann zum Beispiel in der Schweiz oder in Kalifornien im Volksentscheid über Steuersenkungen und Zusatzausgaben frei entscheiden. Nicht nur dass: In fast allen Schweizer Kantonen und einigen US-Bundesstaaten ist es sogar verpflichtend, dass Ausgaben ab einer bestimmten Höhe in einem Referendum bestätigt werden. Während bei uns also höchstens kleinere Beträge vom Wahlvolk beschlossen werden dürfen, ab einer gewissen Größenordnung aber nur durch die Parlamente, ist es dort genau andersherum: Die alltäglichen Geschäfte dürfen Regierung und Parlament beschließen. Wenn es aber um wichtige finanzielle Fragen geht, muss die Bevölkerung selbst entscheiden.

Ist nicht Kalifornien der lebende Beweis, dass so etwas ins finanzielle Chaos führen muss? Immerhin hat der Staat in diesem Jahr ein Haushaltsdefizit in einem Ausmaß, dass es offenbar eines Arnold Schwarzenegger bedarf, um die Probleme zu lösen. Aber Volksentscheide sind nicht Verursacher der kalifornischen Haushaltsprobleme. Es gab nur einen Volksentscheid, der wirklich wesentlich auf die Staatsausgaben Einfluss nahm: Proposition 98 aus dem Jahr 1988. Hierin wurde festgelegt, dass die Bildungsausgaben entsprechend der Inflationsrate steigen müssen. Damit steht der Bildungsetat, immerhin 30 Prozent des Budgets, nur begrenzt für Einsparungen zur Verfügung. Alle anderen Volksentscheide zusammen belasten das Budget nur in der Größenordnung von 2 Prozent. Auch die Einnahmeverluste des Staates durch Volksentscheide sind gering. Zwar wurde in dem berühmten Volksentscheid Proposition 13 im Jahr 1978 eine Grundsteuererhöhung rückgängig gemacht. Auch wurde später die Erbschafts- und Schenkungssteuer abgeschafft. Die Bedeutung dieser Steuern ist aber verglichen mit Einkommens- und Verkaufssteuern klein. Eine Volksinitiative zur Senkung der Einkommensteuer wurde von den Wählern verworfen. Die Tabaksteuer wurde sogar per Volksentscheid angehoben. Dass die wichtigen haushaltsrelevanten Volksentscheide kaum für die aktuelle Finanzkrise verantwortlich sein können, sieht man schon daran, dass sie Jahrzehnte zurück liegen. Das Haushaltsdefizit Kaliforniens entstand aber 2002. 2001 gab es noch einen Haushaltsüberschuss in Deutschland undenkbar.

Anders als das extravangante Kalifornien gilt die Schweiz ohnehin als Inbegriff finanzieller Solidität. Zu recht. Im Mutterland der direkten Demokratie liegen die Staatsschulden nur bei ca. 51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (EU-Durch-schnitt: 69 Prozent). Das Budgetdefizit lag in den letzten Jahren bei ca. 0,5 Prozent, in Deutschland über 3 Prozent. Natürlich muss das nicht zwingend mit den Volksentscheiden zu tun haben. Wenn man aber die Kantone und Gemeinden der Schweiz miteinander vergleicht, sind die Rahmenbedingungen gleich. Die Möglichkeiten demokratischer Kontrolle sind jedoch unterschiedlich. So gibt es in allen Kantonen bis auf einen und in vielen Gemeinden, aber nicht in allen, das Finanzreferendum. Damit ist gemeint, dass größere Investitionsentscheidungen des Parlaments oder Stadtrats von den Bürgern in einem Volksentscheid bewilligt werden müssen. In der Verfassung des Kantons Thurgau liest sich das zum Beispiel so: „Beschlüsse des Großen Rates, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 3.000.000 Franken oder neue jährlich wieder kehrende Ausgaben von mehr als 600.000 Franken vorsehen, unterliegen der Volksabstimmung. Beschlüsse, die neue einmalige Ausgaben von mehr als i.ooo.ooo Franken oder neue jährlich wiederkehrende Ausgaben von mehr als 200.000 Franken vorsehen, unterliegen der Volksabstimmung, wenn 2000 Stimmberechtigte dies innert drei Monaten seit der Veröffentlichungverlangen..." Das Finanzreferendum ist in den verschiedenen Regionen mal leichter, mal schwieriger einzuleiten, entsprechend variiert die Anwendungshäufigkeit. Haben nun diejenigen Gemeinden und Kantone, in denen es leicht und oft zum Finanzreferendum kommt, geringere Schulden als solche, in denen das Finanzreferendum schwer oder gar nicht eingeleitet werden kann? Lars Feld und Gebhard Kirch-gässner haben 134 Schweizer Städte und Gemeinden zwischen 3000 und 400.000 Einwohnern miteinander verglichen. Ihr Ergebnis: „Gemeinden mit einem Referendum zum Budgetdefizit haben signifikant niedrigere Schulden pro Steuerzahler." Ganz ähnliche Ergebnisse liefern Untersuchungen, die die Schweizer Kantone untereinander vergleichen. Direkte Demokratie leistet tatsächlich einen Beitrag zur Haushaltshaltssanierung Die Bürger sind sparsamer als ihre Vertreter. Wie ist das zu erklären?

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Bremse, die finanziell unverantwortliche Entscheidungen gewählter Politiker verhindern soll, schlecht funktioniert. Diese Bremse lautet: Der Bürgermeister oder Minister kann für Fehlentscheidungen zur Verantwortung gezogen werden. Sofern nicht rechtliche Verfehlungen vorliegen, ist aber die einzig mögliche Strafe die Nicht-Wiederwahl. Da Politiker meist erst gegen Ende ihrer Karriere in eine Regierungsposition aufsteigen und es oft viele Jahre dauert, bis eine Fehlentscheidung evident wird, ist das ein schwaches Sanktionsmittel. Die Gestürzten, wenn es dazu kommt, fallen zudem weich. Der Bürger dagegen hat die Folgen verfehlter Politik zu tragen.

Während die Bremse also schlecht funktioniert, gibt es einige Triebkräfte, die zu Mehrausgaben verleiten. Bürgermeister und Minister sind oft mit Großinvestoren persönlich bekannt und unterliegen (zumindest) subtilen Formen indirekter Korruption. Sie wollen auch gerne Tatkraft beweisen, die Presse und den Wähler durch glänzende Projekte beeindrucken. Dies verleitet sie zu Entscheidungen, die nicht restlos durchdacht und nicht gründlich geprüft sind. Die Abgeordneten oder Stadträte, deren Funktion eigentlich ist, genau dies zu verhindern, scheuen meist den Konflikt. Sie müssen ihre Ablehnung fachlich gut begründen und in den Ausschüssen gegen die die in der Regel viel fachkundigeren Experten aus der Verwaltung verteidigen. Sie machen sich bei den unterschiedlichsten Gruppen, die sich von dem geplanten Projekt Vorteile versprechen, höchst unbeliebt. Abgeordnete bzw. Stadträte werden in aller Regel höchstens dann gegen eine geplante Geldausgabe massiv angehen, wenn sie von der Schädlichkeit des Ganzen restlos überzeugt sind. Der Bürger dagegen stimmt im Volksentscheid einer Geldausgabe nur zu, wenn er von deren Nutzen restlos überzeugt ist. Dies zeigen die Schweizer Erfahrungen. Es geht also nicht darum, ob der Bürger auf

der Straße schlauer ist als die Abgeordneten. Es geht um öffentliche Darstellung und verstärkte Diskussion. Referenden würden zu einer öffentlichen Debatte um Großprojekte führen. Die Möglichkeit abzustimmen verstärkt die Motivation, sich eine Meinung zu bilden. Dies würde auch die parlamentarische Debatte befruchten. Abgeordnete/Stadträte, die auf Podiumsdiskussionen und in Bürgerversammlungen ihren Standpunkt vertreten müssen, wären tatsächlich gezwungen, sich mit einem geplanten Projekt auseinander zu setzen. Derzeit befassen sich meist nur die Fraktionsvorsitzenden und Fachabgeordneten damit. Entscheidungen in Millionenhöhe werden nicht selten von einer Handvoll Leute getroffen.


Die ausführliche Position „Chaos oder Sanierung"kann angefordert werden bei Paul Tiefenbach

paul.tiefenbach@mehr-demokratie.de oder im

Internet heruntergeladen werden unter

www.mehr-demokratie.de/bu/dd/positionen