"Alle Gewalt geht vom Volke aus"
VON DER ZUSCHAUER- ZUR TEILNEHMER-DEMOKRATIE
Vortrag von Ernst Lutterbeck, MinRat a.D.
Seite 3
20 Jahre Einsatz für den Volksentscheid
Damit schließe ich zunächst das Kapitel des geschichtlichen Rückblicks und des Überblicks über die Gegenkräfte ab und wende mich nun dem zu, was die Bewegung, die sich seit 20 Jahren für die Schaffung der Möglichkeit von Volksentscheiden einsetzt, die "Aktion Volksentscheid", an konkreten Vorstellungen und Vorschlägen bis heute erarbeitet hat.
Ausgegangen ist das Ganze von der in Achberg im Allgäu in der Nähe des Bodensees von Anthroposophen gegründeten "Aktion Volksentscheid", die heute den Zusatz trägt: "Überparteiliche Arbeitsgemeinschaft für Demokratie und Recht". Als Motto könnte über der ganzen Bewegung ein Wort von Rudolf Steiner stehen: "Ich will mitreden können, wenn das Recht entsteht." Darum geht es!
Ich will nicht über den zwanzigjährigen, harten, oft frustrierenden Kampf gegen Windmühlenflügel sprechen, gegen die unverständliche Borniertheit, mit der die wahren ge schichtlichen, verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Tatsachen nicht zur Kenntnis genommen werden, noch nicht einmal in ernsthafter Weise von denen, die für das Verfassungsrecht zuständig sind, und von denen, die Verfassungsrechtsurteile fällen; sie haben unsere Beschwerde nicht inhaltlich behandelt, sondern aus formalen Gründen abgelehnt. Was soll man denn unter diesen Verhältnissen noch tun? Eine Revolution anzetteln? Wir brauchen sie gar nicht mehr anzuzetteln, denn sie ist mitten im Gange. Was aber fast noch mehr verbittert, ist die soziale, politische und moralische Stumpflheit der Menschen, die nicht über den Tellerrand einer Harald-Juhnke-Show, über die BILD Zeitung und eine Fußballübertragung hinausdenken können oder zu bequem dazu sind, die in ihrer Mehrheit wohl immer noch dem guten, alten deutschen Obrigkeitsstandpunkt anhängen: "Die da oben werden es schon machen." Dieser vermaledeite Untertanengeist, der dem Kaiser Wilhelm und Hitler die Weltkriege ermöglichten!
Nun, es hat keinen Zweck zu jammern;... auch der kritische Betrachter und Beurteiler dieser 40 Jahre kommt nicht umhin festzustellen, daß diese Republik sich zur stabilsten, sozialsten, demokratischsten der deutschen Geschichte entwickelt hat, und daß dieses Lob auch angesichts aller verpaßten Chancen, allerverwerflichen Skandale und aller Unzulänglichkeiten, die es natürlich auch in jedem an deren Land gibt, nicht geschmälert wird.
Doch jetzt kommt das große Aber: Schon viele Staaten in der Geschichte sind gescheitert und aus der Geschichte verschwunden, weil man nicht rechtzeitig die Notwendigkeit eines Wandels erkannt hat, weil das Aufsteigen neuer geschichtlicher Kräfte und Ideen verschlafen wurde bzw. weil man sich in reaktionärer Sturheit dagegen gewandt hat. Und zwei der wirklich neuen geschichtlichen Kräfte sind heute der Wille des mün digen Wahlbürgers, über seine Geschichte mitzuentscheiden, und die "Dreigliederung".
Um "denen da oben" zu zeigen, was das Volk wirklich will, hat die Aktion Volksentscheid eine selbstorganisierte Volksabstimmung in Gang gesetzt. Sie versucht, über Unterstützerkreise, wie es sie in der ganzen Bundesrepublik und auch hier in Bonn gibt, Millionen von Stimmbriefen an die Wahlbürger heranzubringen[ In dem Stimmbrief kann man ankreuzen ob man die Volkabstimmung will oder nicht]. Ein solcher Stimmbrief liegt auf Ihrem Platz, und ich bitte Sie herzlich, zu Hause diese Stimmbriefe sorgfältig zu lesen, um dann zu entscheiden, ob Sie an der Abstimmung teilnehmen wollen und wenn ja, ob sie mit"Ja" oder "Nein" stimmen wollen. Das steht selbstverständlich ganz in Ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit.
Einzelne Erläuterungen zur Volksgesetzgebung
Auf einige besonders wichtige Punkte möchte ich aber noch eingehen, da diese auch am meisten auf Bedenken stoßen. Was diese anbetrifft: Glauben Sie nur, es gibt sicher kaum noch Einwände, die wir uns nicht schon selbst gemacht haben, und selbstverständ lich sind darunter auch welche, die wir noch nicht beantworten können, da sich eine Antwort erst aus der Praxis ergibt.
l . DieVolksgesetzgebung ist kein Ersatz für die parlamentarische Gesetzgebung.Wir wollen keine Rätedemokratie. Es ist deshalb auch durchaus unangebracht, wie jetzt in Schleswig-Holstein, die "plebiszitären Elemente" auf "Volksbefragungen" beschränken zu wollen und Volksentscheide nur dann zuzulassen, wenn das Parlament sie veranlaßt. "Volksbefragungen" bringen wenig und verhindern eben das, was für uns das Wichtigste ist: Volksentscheide, die "von unten" kommen, die der Souverän will. Durch die von uns angestrebte Art der Volksgesetzgebung werden Bundestag und Landtage nicht nur nicht überflüssig, sondem ihr Ansehen und ihre politische Wirkung wird verstärkt.
2 . Manche Bundesländer haben in ihren Verfassungen schon "plebiszitäre Elemente", zum Beispiel Volksbefragungen. Aber diese Regelungen sind durchweg unbefriedigend und bedürfen der Weiterentwicklung in der Richtung unseres Vorschlages.
3 . Das Verfahren ist dreistufig:
Die erste Stufe ist die "Volksinitiative", die jeder Stimmberechtigte ergreifen kann. Aber nur, wenn er dafür 50.000 Unterschriften bekommt, soll der Bundestag gezwungen sein, sich damit zu befassen. und dann muß das Anliegen auf Kosten der Staatskasse [auf Kosten der Staatkasse wurde gestrichen, Stand 1997] in den Medien auf geeignete Weise veröffentlicht werden. Akzeptiert der Bundestag das Anliegen, dann ist der Zweck erreicht und das Verfahren ist abgeschlossen. Akzeptiert er es nicht, kann die
zweite Stufe das "Volksbegehren" in Gang gesetzt werden. Um damit durchzukommen, braucht man eine Million Unterschriften. Diese Hürde ist hoch genug, um Spinner und Egoisten abzuschrecken, die Volksgesetzgebung vor ihren Karren zu spannen. Wenn der Bundestag ein Volksbegehren nicht innerhalb von sechs Monaten unverändert übernimmt, kommt es zur
dritten Stufe, dem "Volksentscheid". Entscheidet sich dabei die absolute Mehrheit der Wahlberechtigten dafür, dann muß der Bundestag ein entsprechendes Gesetz erlassen bzw. ein von ihm geplantes Gesetz unterlassen.
4. Eine Mindestbeteiligungsgrenze darf es nicht geben. Wer nicht mitentscheidet, muß akzeptieren, was über ihn entschieden wurde. Ein Volksentscheid kann also nie, wie es jetzt in Schleswig-Holstein vorgesehen ist, "von oben" kommen.
5. Von entscheidender Bedeutung und absolut neu in der Geschichte der Volksgesetz gebung ist die sogenannte "Medienbedingung" . Es ist doch völlig klar, daß zum Beispiel eine Initiative für Tempo 100 auf Autobahnen keinerlei Chance hätte gegen die geball te Finanzmacht der Autokonzeme, Zuliefererbranchen und Automobilclubs, wenn nicht beide Gruppen, die Pro- und Contra-Gruppe, ausreichend Gelegenheit hätten, ihren Standpunkt in den öffentlichen und privaten Medien gleichberechtigt darzustellen, wobei die Kosten natürlich aus der Staatskasse kommen müßten. Wo es diese Medienbedingung nicht gibt, wie zum Beispiel in der angeblich so urdemokratischen Schweiz, da ist der Manipulation der öffentlichen Meinung durch finanzstarke Gruppen oder durch den Staat selbst, d.h. natürlich durch die jeweils herrschende Regierung, Tür und Tor geöffnet. Ich bringe dafür noch ein unmißverständliches Beispiel.
6. Die vorgeschriebenen Quoten und Diskussionszeiten zwischen den einzelnen Stufen mit der Möglichkeit einer breitesten öffentlichen Diskussion gewährleisten, daß momentane Stimmungen im Volke für oder gegen irgendetwas (für oder gegen "Auslän derstop", für oder gegen Tiefflüge) sich nicht auswirken können.
7. Verfassungsändernde Volksbegehren, zum Beispiel die Wiedereinführung der Todesstrafe (geregelt in Artikel 102 des Grundgesetzes) bedürfen selbstverständlich - wie auch im Bundestag - der Zweidrittelmehrheit. Damit ist der am meisten gebrauchte Ein wand gegen den Volksentscheid schon ad absurdum geführt: es wird doch niemand im Ernst glauben, er bekäme durch den oben beschriebenen Stufengang hindurch schließlich eine Zweidrittelmehrheit für die Wiedereinführung der Todesstrafe zusammen.
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