Joseph Beuys_Projekt Unterwasser Buch, 1973 von Lothar Wolleh und Joseph Beuys
Anmerkung: Dies ist die erste Textseite des Unterwasserbuches.Sie wurde nicht wie die folgenden Abbildungseiten als Auflagenlwerk herausgegeben ( siehe 3 Tonnen Edition, Edition Staeck)J o s e p h B e u y s
D r e i s e n k r e c h t e S t ü c k e
Sibirien
Die Straßen tragen die Namen der Götter: Odin, Thor, Froh Freia, oder die Namen der Schilfingerkönige. Die Strassen sind lang und gerade, mit winkelrechten
Kreuzungen. An den Straßen entlang stehen in Blöcken die Häuser, zwanzig in
jedem Viertel. Hier wohnten die Arbeiter , viele in jedem Haus. Eine Straße
hatte keinen Götternamen, die Sauerbrunnenstrasse. Sie war die längste. Hier
buk man das graue Brot, das selten leuchtend war. Da lag auch die Kneipe. Auf runden Tischen stand saures Bier für diejenigen mit Geld.
Die Strassenfasaden der Häuser hatten gerade Fensterreihen. Alle Fenster
hatten ein Kreuz. Im Winter bekleidete man die Fenster mit Filz gegen die Kälte.
Nur selten durchdrang die Sonne den Filz. Denn die Häuser waren hoch, die Strassen
Eng und noch enger die Höfe. Manchmal im Sommer , fielen Sonnenstreifen am Filz
Vorbei. Sie fielen schräg und gelb auf den brauen Fussboden ohne Teppich.
Die Männer trugen Stiefel und Lederhauben mit Wolle gefüttert. Am Sonntag einen Filzhut. Am Sonntag lehnten sie in Hemdsärmeln an den Fenstern wenn die
Temperatur danach war. Oder auch sassen diejenigen mit Geld beim Bier in der
Sauerbrunnenstrasse. Beinahe alle hatten ihre Filzanzüge an die Fenster abgegeben. Werktags luden sie Eisenplatten. Ihre Schlitten standen am Rande der
Strasse. Sie waren alle gleich und doch hatte jeder sein Kennzeichen.
Ausserhalb der Zollstation lag der Friedhof mit weissen Kreuzen und kleinen
Kerzen.
In der Nummer 52 im Viertel der Ziege in einem Zimmer mit Küche wohnten sechs
Personen. Die Küche war ungefähr zweimalzwei Meter. In der Ecke stand ein Herd
aus Eisen. Daneben ein Behälter aus Kupfer. Daneben eine Spankiste mit Brennholz.
Am Fenster ein Waschbecken überzogen mit Zinkblech. Ausserdem gab es eine Sprossen-
Bank, der Schlafplatz des ältesten Kindes.
Im Zimmer stand ein Doppelbett, zusammengeschoben während des Tages, überdeckt mit einer gehäkelten Decke. Die Kissen und Matratzen waren aus Sackleinen, mit Stroh und
Holzwolle gefüllt. Es gab nur ein Bettuch. Das legte man unter sich. Über sich zog
man eine Wolldecke oder seine Kleider. Im Bett schliefen die Eltern. Zwischen dem
Bett und dem Ofen in der Ecke stand der Waschtisch. Auf der anderen Seite des
Ofens die Kommode. Das Eigentum der Mutter. Daneben das Sofa. Darin schliefen die
Beiden mittleren Kinder. Das Kleine hatte den Waschkorb als Bett. Vor dem Sofa ein
Ovaler Tisch mit vier gepolsterten Stühlen. Am Fenster der Nähtisch der Mutter.
Alle Möbel waren braun angestrichen.
Trotz des Filzes zog es durch die Fensterritzen. Die brauen Tapeten hatten dunkel-
feuchte Flecken.
Am Abend kamen die Untermieter. Sie wohnten nur da übernacht, am Boden. Meiste waren
Es Junggesellen. Die älteste Tochter, diejenige auf der Sprossenbank in der Küche,
war zwölf. Manchmal kamen auch ganze Familien und schliefen auf dem Fussboden.
Alle lagen durcheinander. Das Verhältnis zum Nachbarn war nicht gut. Die Mieter der
Wohnung nannten dies ihr Heim. Es lag in der Nummer 52 im Viertel der Ziege im
Arbeiterbviertel Sibirien.
Jetzt liegen alle schon längst auf dem Friedhof ausserhalb der Zollstatioin, in
Den Gräbern mit weissen Kreuzen und kleinen KERZEN: Über die Gräben laufen die
Hasen.