Kommentar

Beuys oder nicht Beuys?

In der römisch-katholischen Kirche haben die Konzile von Beginn an hohen Rang gehabt. Denn hohe Würdenträger beenden im Konzil - meist strittige - Glaubensfragen mit Beschlüssen, wenn der Papst diesen Beschlüssen seine Bestätigung gibt. Wobei der Nachfolger Petri auch das Recht hat, "ex kathedra" zu sprechen: Die Lehrentscheidung des Papstes in Fragen des Glaubens gilt dann als unfehlbar.

In der modernen Kunst sind die Abläufe weit weltlicher, Glaubensfragen beschränken sich meist darauf, wem was gefällt. Entscheidungen müssen aber auch im Ausstellungsbetrieb täglich gefällt werden. Dafür muss es Verantwortliche geben, gerade im staatlichen oder städtischen Bereich, der kräftig öffentliche Mittel verbraucht. "Ex kathedra" ist dabei nicht viel machbar. Denn die Verantwortlichen müssen - durch die demokratischen Instanzen und notfalls vor Gericht - einstehen für ihre Entscheidungen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, und Gesetze gibt es auch.

Am aktuellen öffentlichen Streit darum, was mit dem Block Beuys geschehen soll, wenn das Hessische Landesmuseum Darmstadt grundsaniert wird, zeigt sich, dass der Weg zur Wahrheit im Umgang mit Kunstwerken viele Aspekte haben kann. Der Streit, der nun bei einer Diskussion im Museum zum Vorschein kam, zeigt zudem, dass mancher die Einberufung eines Beuys-Konzils herbeischreien möchte. Eine diffuse Mehrheit - von Experten oder Experten und Laien? - soll entscheiden, notfalls auch vor Gericht.

Klar und unstrittig ist: Auch die Räume des Block Beuys müssen saniert werden. Damit wird eine Einzigartigkeit dahingehen. Denn der Block Beuys ist ohne Eingriff die Arbeit des 1986 verstorbenen Joseph Beuys. Die Boden- und Wandinstallationen sind genauso am Ort geblieben wie die Vitrinen. Dort sollen sie nach dem Willen von Museumsdirektorin Ina Busch und in Abstimmung mit dem Estate Beuys, in dem die Familie des Künstlers das Sagen hat, zur Wiedereröffnung des Hauses 2011 auf den Millimeter genau auch wieder zu finden sein.

Gravierend ändern wird sich hingegen die Umgebung der Kunst. Der dreckige bräunliche Teppichboden soll genauso weichen wie die braune Jute-Wandbespannung, die ursprünglich viel heller war und beim Beginn der Beuysschen Arbeiten auch schon da war. Weiß sollen die Wände werden, Sichtbeton und Parkett werden auf die Böden kommen. Der Raumeindruck wird sich auch dadurch ändern, dass die Decken von Heizungseinbauten befreit und dadurch "gerade" werden, dass zudem ein jetzt verschlossenes Kabinett geöffnet und zum Raum von besucherfreundlichen Erklärungen deklariert wird.

Ein dramatischer Einschnitt, auch darin sind alle einig. Im Streit geht jedoch zu viel unter. Beispielsweise, dass eine Rauminstallation anders als ein Bild wegen der Bindung an den Raum mit den Jahren in die Situation eines Hauses unter Denkmalschutz kommt. Ohne Zweifel gehören Wand und Boden dazu, doch was will man erhalten? Es scheint, als lebe der zwanzig Jahre zurückliegende, erbitterte Glaubenskrieg um die Ziele der Denkmalpflege wieder auf am neuen Objekt. Soll nur "ausgebessert" werden? Welchen Zustand sollen die neuen Wand- und Bodentextilien dann spiegeln? Saubere Farben wie in den ersten Jahren oder lieber die Historizität unserer Gegenwart, mit besserer Technik, ohne die Flecken auf den Böden und ohne Flicken in den Wandbespannungen? Oder entscheidet man sich doch lieber für das andere Extrem, das nun gewählt wurde, weil man dezidiert zeigen will, was alles neu ist? Wieviel "Ehrlichkeit" wird den Räumen gerecht?

Durch die Glaubenskrieger dazu gezwungen, spricht Ina Busch jetzt sehr klar "ex kathedra". Aber nicht sie eskaliert den Streit. Denn wenn nicht geschieht, was die Kritiker wollen, wollen diese klagen, wie sie sagen. Dabei wird die Museumsdirektorin als Gegnerin genannt. Beuys vor Gericht? Bei der Idee kann nur Schauder aufkommen. Denn schließlich hat die Diskussion ja gezeigt, dass auch in der Expertenrunde keine Einigkeit herrscht. Wie viele Kardinäle der Kunst wird man auf beiden Seiten durch wie viele juristische Instanzen hindurch aufbieten können?

Sicher ist schon heute: Beide Glaubenssätze könnten Gültigkeit haben. Und jede Gewissensentscheidung gilt. Doch Beuys zu einem Messias zu machen, dessen Willen man angeblich kennt, wie dies seine selbst ernannten Jünger tun, ist schon heute falsch.

Annette Krämer-Alig

7.12.2006