DIE ZEIT

Dossier 37/2002

Die provozierenden Zwillinge

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Minoru Yamasaki baute die Twin Towers und wurde deshalb von bin Laden verachtet

von Hanno Rauterberg

 

Eigentlich hätte sein Leben eine gleißende Erfolgsgeschichte sein können, ein amerikanischer Traum, so hoch und groß wie das World Trade Center, dessen Architekt er war. Eine Symbolfigur wäre Minoru Yamasaki gewesen, ein Beispiel für den Aufstieg eines Außenseiters. Man hätte erzählt vom Sohn japanischer Einwanderer, geboren 1912 im Immigranten-Ghetto von Seattle, verlacht von den Mitschülern, am Ende aufgestachelt, nun erst recht der bessere Amerikaner zu werden. Die Architektur wurde zu seinem Weg in die erhofften Höhen. Für 17 Cents die Stunde schuftete er in Alaskas Fischfabriken, um sich sein Studium zu finanzieren, später ging er nach New York, schlug sich durch als Tellerverpacker und wurde irgendwann tatsächlich angestellt - von eben jener Firma, die auch das Empire State Building entworfen hatte.

 

Wohl damals schon keimte sein Ehrgeiz, einst selbst ein weltrekordhohes Haus zu bauen. 1963 kam dieser Auftrag - und brachte ihm ungeahnten Ruhm. Selbst das Magazin Time hob ihn auf den Titel. Er, der Schmächtige, stillentschlossen und stets lächelnd, hatte es geschafft.

 

Doch bei allem Erfolg: Unter den Architekten des 20. Jahrhunderts ist Yamasaki der tragische Held. Er durfte das damals größte und teuerste Bürohaus der Welt bauen, erst aber dessen Zerstörung gab seinem Leben etwas ungeahnt Zeichenhaftes. Yamasaki wurde zum Synonym für das Scheitern der Moderne wie für den Abschied vom Postmodernen. Gleich zweimal ging er in die Architekturgeschichte ein, nicht, weil er baute, sondern weil eines seiner Bauwerke ausgelöscht wurde.

 

Dass sich die Riesentürme in Feuer- und Staubfackeln verwandelten, musste er nicht mehr mit ansehen; Yamasaki starb 1986. Die Zerstörung seines Frühwerks aber sollte ihn ein Leben lang verfolgen. 1972 sprengte man in St. Louis, Missouri, die Sozialsiedlung Pruitt-Igoe. Auf breiter Front raffte es die kargen Wohnblöcke dahin, entworfen von Yamasaki im Jahre 1950. Damals hatten die Modernisten noch gehofft, mit Standardhäusern auch den Armen ein Zuhause geben zu können, Architekten waren Weltenretter. Doch das Quartier kam herunter, die Konflikte nahmen zu, am Ende wollte die Stadt ihren Slum nur noch loswerden.

 

"Soziale Krankheiten kann man nicht mit schöner Architektur heilen", das war der Lehrsatz, den Yamasaki aus Missouri mitnahm. Wirklich überrascht hatte ihn die Sprengung aber nicht. Schon früh war ihm klar geworden, dass er ins architektonische Abseits geraten war. Bereits Ende der fünfziger Jahre entdeckte er für sich das romantisch Verspielte - und wurde zum Postmodernen noch vor der Postmoderne. Er bediente sich im Fundus der Baugeschichte, zitierte den Fernen Osten, auch die islamische Tradition. Und rasch fand er Auftraggeber.

 

Selbst in Saudi-Arabien war Yamasaki begehrt, offenbar schien er den Saudis einen Weg in die Zukunft zu weisen: mit einer Architektur, die Gegensätze aufhebt, Tradition und Gegenwart, islamische Spitzbögen und moderne Technik verbindet. Besonders ernst gemeint war diese Ortsverbundenheit allerdings nicht. Im selben Jahr, in dem man seinen Dharan International Airport einweihte (mit einem Tower in Minarettgestalt), entwarf Yamasaki erste Pläne für das World Trade Center - die islamischen Bögen schienen ihm auch dort das Richtige zu sein. Er verzierte damit die stolzen Erdgeschosse der Twin Towers und bezeichnete den Platz zwischen den Türmen als "Mekka" im Gassengewirr von Downtown Manhattan. Westliche Augen sahen in dieser Architektur zwar meist technizistische Neogotik; einem Araber indes konnten die Anspielungen nicht entgehen. Für Yamasaki war dies ein freies Spiel der Formen; ein rüder Akt der Entweihung war es für einen wie Osama bin Laden.

 

Gut möglich, dass bin Laden, der gelernte Architekt, die Attacke auf das World Trade Center nicht allein als Mediencoup begriff. Vielleicht ging es ihm nicht nur um Tod und Zerstörung, vielleicht richtete sich sein Hass auch gegen die Architektur. Diese ließ sich als Symbol westlicher Überheblichkeit verstehen, als Beispiel für die Vereinnahmung arabischer Traditionen. Auch deshalb, so kann man vermuten, ließ bin Laden die Twin Towers zertrümmern - um damit den Glauben der Postmoderne zu erschüttern, die Bedeutung architektonischer Zeichen sei längst verwirkt und alles könne mit allem kombiniert werden.

 

Entstanden war bin Ladens Abneigung wohl schon in Saudi-Arabien. Dass sich die beiden Architekten je getroffen haben, ist zwar nicht zu belegen; die einstigen Partner Yamasakis verweigern die Auskunft ebenso wie der Bin-Laden-Clan. Doch genoss der Baukonzern dieser Familie das Vorrecht, alle Projekte des saudischen Königs zu errichten - auch solche, die Yamasaki entworfen hatte. Zumindest dem Namen nach muss Osama bin Laden seinen Architektenkollegen also gekannt haben. Und er verachtete ihn, weil dieser nicht nur in New York, sondern auch in seiner Heimat eine Ikone gelungen war: Der Dharan-Flughafen durfte den 1-Riyal-Geldschein schmücken. Ein Zeichen nationalen Stolzes für die einen; ein Symbol dekadenter Verwestlichung seiner Heimat für Osama bin Laden.