Johannes Stüttgen: Über Joseph Beuys und jeden Menschen,das Erdtelephon und zwei Wolkenkratzer; über 7000 Eichen, 7000 Steine und ein schwarzes Loch, Seite 20ff ,FIU-Verlag, 1982

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Cosmos und Damian 1974

Leider habe ich das Bild nicht in Farbe da! Es ist die Abbildung der beiden höchsten Wolkenkratzer in New York, das World Trade Center, auf einer Farbpostkarte. Hättet ihr jetzt die Farbpostkarte vor euch, dann würdet ihr feststellen, daß diese Abbildung von Joseph Beuys manipuliert worden ist. Nämlich die zwei Wolkenkratzer erscheinen hier in der Farbe von Butter ! Wir haben es hier zu tun mit zwei Wolkenkratzern aus Fett. Auf diesen Wolkenkratzern sind zwei Namen draufgeschrieben, auf dem einen "Cosmos", auf den anderen "Damian". Das sind zwei merkwürdige Namen. Es sind nämlich - bis auf einen Buchstaben - die Namen zweier Wanderheiliger und Ärzte des frühen Christentums, die auch in der "Legenda Aurea" erwähnt werden: Cosmas und Damian. Man merkt, der Name Cosmas ist leicht abgewandelt in Cosmos, während der Name Damian beibehalten wurde, und eben die Namen zweier legendenhafter Wunderheiler sind hier übertragen worden auf das Wolkenkratzerpaar in der Nähe der Chase-Manhat-tan-Bank in New York, dem Zentrum - oder dem Weltzentrum also, von wo aus die gegenwärtige kapitalistische Weltwirtschaft, insbesondere das sie und uns alle beherrschende Geldwesen, oder sagen wir besser- Geldunwesen dirigiert wird, dem eigentlichen Repräsentanten also jenes Prinzips unserer Zeit, unter dessen Maßgabe jeder Mensch sich als ein Rädchen im Getriebe empfindet. Hier nun erscheinen diese beiden Wolkenkratzer als Cosmos und Damian. Ist die beiläufige Umwandlung des ursprünglichen Namens Cosmas in Cosmos möglicherweise ein Hinweis auf den Gesamtbereich dessen, was es durch den Menschen, statt es zu zerstören, zu bearbeiten, zu gestalten gilt: Die Erde, die Welt, das Universum, der Kosmos im Ganzen, ein Hinweis sozusagen auf etwas Universelles, das Ganzheitliche, das seit jeher das

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Arbeitsfeld der Kunst gewesen ist? Ist der Name Da-mian beibehalten worden als der Hinweis auf den Menschen, auf seinen Namen, auf seine Ichheit, also die Individualität, ausgestattet-mit dem Ehrennamen seiner höheren, mit Heilfähigkeit versehenen Natur, die nun - in der Polarität dieser beiden Blöcke - der Universalität gegenübergestellt, besser: ihr in der gleichen Größe nebengestellt wird wie bei einem Paar, das zusammengehört? Wie - die kleinste Kleinheit, das Ich, gleich groß neben der größten Großheit, dem Kosmos? Auch hier wieder diese Spannung einer Wachstumsempfindung, die aufkommt: der Mensch so groß wie ''äs Universum, die Dimension einer kosmischen Menschheitsnatur in ihrer doppelten Weise als Künstler und Kunstwerk. Erkennt das Ich in diesem Bild seine Zukunft wieder? Sein Wesen? Erkennt es darin seine Aufgabe, an der es wachsen kann, die Aufgabe an jener Gegenwart, die das World-Trade-Center repräsentiert und die nun zu transformieren ist?Wasmuß geschehen, damit die kalte, das menschliche Ich bedrohende und unterdrückende Macht und Pracht der gegenwärtig herrschenden Struktur - das Bild der Wolkenkratzer in ihrer Äußerlichkeit - umgepolt werden kann? Diese Frage entzündet sich an der Spannung, die dieses mit dem kalten Bild deckungsgleiche Wärmebild " Cosmos und Damian " als Gegenentwurf des menschlichen Innern erzeugt. Was ist zu tun, damit das bloß Veräußerlichte identisch werde mit der ausgehungerten Menschenseele ? Zwei Wolkenkratzer, bezeichnet mit zwei großen Namen, aus Butter! Ja, überhaupt - wieso aus Butter! Im Geist ist es vollzogen worden. Unmerklich verändern sich alle Begriffe, so fängt es immer an. Der Verstand stutzt. Er gibt mir zu verstehen: mit Butter haben Wolkenkratzer nichts zu tun! Nur - irgendwo tief in mir spüre ich auch etwas anderes, Wohltuendes. Das Bild konnte oben im Schlaukopf nicht abgefangen werden und gelangte unbehelligt

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in die tieferen Regionen und wirkt nun. Cosmas -jetzt: Cosmos - und Damian als Wolkenkratzerpaar! Ist das nicht auch: die beiden Heiligen auf den neusten Stand gebracht? (Die eifrigen PR-Manöver der Kirchenmanager und ihrer Theologen, ihre letzten Restbilder durch Kosmetik über die Runden zu retten, wirken dagegen reichlich antiquiert!) Und siehe da: als blieben durch diese überraschende Berührung auch die Wolkenkratzer nicht mehr, was sie waren. Nein, verbogen und vernichtet wird da nichts. Der liebende Zugriff der heiligen Geister beläßt ihnen ihre eigene und klare Form - wenn auch in verwandelter Substanz: Stein und Stahl wird zu Butter und über New York legt sich ein matter Purpurschein. Das ist es, die innerliche Verbindung der äußersten Gegensätze, die auseinander geratenen Sphären von Geist und Stoff werden in Deckungsgleichheit gebracht. Und längst abgeschriebene, vergessene Figuren, die über gewaltige Kräfte verfügten, begeben sich nun in die Lücke, mitten ins Zentrum des abgeschafften Geistes und übernehmen ohne viel Aufhebens des Zentrums Gestalt. Wie konnte das geschehen? Doch wohl nur, weil die Zeit reif ist und diese Gestalt auf die beiden passte - - und dies wiederum, weil wenigstens ein Menschenauge dank einer unmittelbaren Eingebung bemerkt hatte, daß just in diesem Wolkenkratzerpaar womöglich zum ersten mal seit Verschwinden der Wundertäter vor langer Zeit für sie die Möglichkeit ihrer unglaublichen Wiederkunft gegeben ist. Es geschah über Nacht und niemand hatte es erkannt: die Wolkenkratzer waren zu Geistern geworden, das World-Trade-Center zu Cosmos und Damian in leuchtendem Fett und gesicherter Statik. Es konnte noch nicht jeder sehen, aber das Nichts des Materialismus war aufgeladen mit einer Idee und ihrer Energie: nicht das Geld ist Kapital, sondern nur die menschliche Fähigkeit! Wall-Street und World-Trade-Center: Zwei Buttersäulen daraus machen mit der Be-

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Zeichnung "Kosmos" und "Ich" !

Ich muß euch noch was sagen. Wenn ich euch zu viel rede, dann müßt ihr sagen: so, jetzt ist Schluß ! Denn ich versuche, immer so zu reden, daß man eigentlich in jedem Moment genausogut auch Schluß machen kann. Schließlich wollen wir ja noch Zeit haben, um hinterher auch miteinander zu reden. Was ich hier zuerst einmal zu leisten habe, ist eine Art Einführung für interessierte Leute, die von Joseph Beuys zwar schon viel gehört haben, aber mit der Kunst nicht so ohne weiteres zurechtkommen; und es wird bestimmt viele Fragen bei euch aufwerfen, was ich hier vortrage. Aber darauf kommt es ja gerade an. Also, unterbrecht mich! Sagt: Feierabend, es ist zuviel! Denn dieser Vortrag - jederzeit ohne Verlust zu stoppen -kann selbstverständlich ebensogut auch immer weitergehen. Die Formen haben wir zu setzen, also das Ende!

Wir müssen jetzt ohne Bilder weitermachen, der Projektor geht nicht mehr. Das kann auch gut sein!

Wir machen jetzt einen kleinen Sprung in die Jetztzeit hier nach Deutschland, nach Mitteleuropa. Wir machen einen Sprung mitten ins Herz von Deutschland, nach Kassel, und haben es nun mit einer aktuellen Aktion zu tun:

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Pflanzaktion " 7000 Eichen zur Dokumenta 7" in Kassel 1982-1987