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Das Schweigen der Musen

Die Antwort der Künstler auf Ground Zero – jenseits von Hollywood und Karikatur – fehlt noch - Ein neues Guernica gegen den Terror ist zurzeit nicht in Sicht

Von Dieter E. Ronte

Joseph Beuys widmete sich mit seinem Postkarten-Multiple „Cosmos und Damian“, 1974 erschienen in der Edition Staeck, den Twin Towers © VG Bild-Kunst, Bonn 2002 / Repro: Franz Fischer

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Wenn Künstler wie Journalisten oder Karikaturisten unmittelbar auf politische Ereignisse reagieren würden, so wäre die documenta 11 in Kassel die erste Großausstellung, die das Thema Ground Zero konfrontiert. Auf der documenta in Kassel ist kein solches Ergebnis im engeren Sinne zu sehen. Die documenta beschäftigt sich mit Gewalt, Unterdrückung, ethnischen und auch vielen politischen Problemen; sie ist nicht mehr von stilistischen oder theoretischen Modellen bestimmt.

 

Gewalt spielt eine Rolle, zum Beispiel in der großen interaktiven Videoinstallation von Q 4 U von Feng Mengbo aus China. Sie entspricht dem, was Magnus Wallin bereits auf der letzten Biennale in Venedig gezeigt hat, Videos mit einer verblüffenden Affinität zu den Ereignissen in New York. Nur von der Elfenbeinküste schlägt Bodys Isek Kingelez eine pop-artige Rekonstruktion der Twin- Towers vor. Nein, die Künstler sind nicht die, die spontan reagieren. Wie Schriftsteller, Philosophen und Intellektuelle oder auch Dichter verweigern sie ihrer Kunst den pragmatischen Erfolg.

 

Der Zustand unserer Welt ist nicht so, dass er Künstler auffordert, große Visionen zu verwirklichen, immense Anklagen zu formulieren. Sie möchten die Sensibilität bewahren, das Schöpferische fordern, die Verletzlichkeit des Kleinsten und die Verlorenheit im Größten schützen.

 

Nach einer Idee von Rebecca Horn hat in diesem Juli in Berlin auf Einladung von Lettre International im Haus am Lützowplatz eine Dokumentation als Diskussion und Ausstellung unter dem Thema „Der Schock des 11. September und das Geheimnis des Anderen“ stattgefunden. Fotos aus New York waren zu sehen, aber auch die ersten Reaktionen von Künstlern wie John Baldessari, Mimmo Paladino, Jannis Kounellis, Pedro Cabrita Reis, Lawrence Wiener, Georg Baselitz, Michelangelo Pistoletto, Robert Longo, Marina Abramovic, Jörg Immendorff. Diese ersten Annäherungen sind vorsichtig.

 

Hans Haake zum Beispiel fordert auf in der Aktion von Creative Time, New York, 2001 mit einem Entwurf für eine Plakataktion, betitelt „Artists Respond To 9.11.“ Er wiederholt die Form der Twin- Towers mit collagierten Alltagsszenen aus New York, aber auch mit Hinweisen auf die ethnisch kulturelle Problematik New Yorks. Hollywood spielt ebenso eine Rolle wie das Revival oder die positiven Kräfte und die Naivität.

 

Bildende Kunst hat immer lange gezögert, oft sind viele Jahrhunderte vergangen, bis eine schreckliche oder positive Tat visuelle Realisierung gefunden hat. Es sei an die Alexanderschlachten erinnert, die Bilder des bethlehemischen Kindermordes, die „Übergabe von Breda“ von Velasquez. Unmittelbarer sind die Caprichos von Goya, sein Ölbild „Der Koloss“, Delacroix’ Revolutionsbild und natürlich Picassos „Guernica“. Die Künstler erkennen ebenso wie die anderen Weltbürger, dass das Ereignis in New York offensichtlich nicht nur betroffen macht, sondern sich auch immer wiederholen kann. Die Gegenwart des Bösen im Zentrum ist so noch nicht verspürt worden. Zudem stellt sich die Frage, wie nach den Konzentrationslagern, ob Kunst nach Ground Zero überhaupt noch möglich ist.

 

Ground Zero ist ein Zeichen einer stets komplizierten historischen Konstellation für Desaster und Grauen. Im künstlerischen Bereich hat es diese Erkenntnisse gegeben, zum Beispiel die Läuterung Barlachs, der die schlimmen Kriegserfahrungen mit aller Härte formuliert hat, ebenso Käthe Kollwitz, Otto Dix. Immer wieder aber zeigt sich, dass durch die neuen Ereignisse ältere Kunstwerke aktiviert werden; in einem Sinne, wie es die bildenden Künstler bei der Erstellung des Werkes so nicht gewusst haben können. Als Beispiel sei genannt eine ganz kleine Arbeit von Joseph Beuys mit den Twin-Towers, auf denen geschrieben steht „Cosmos“ und „Damian“; in Anspielung auf die Heiligen Kosmas und Damianus, die wegen ihrer Liebe zu den Kranken als Heiler und Mediziner verehrt wurden. Beuys verlagert diesen Humanismus in das Zentrum des Kapitalismus, er versucht den Türmen eine positive Ikonographie einzuschreiben. Er hat dazu drei Arbeiten erstellt, die im Sinne der Verbreitung als Multiples publiziert wurden, nicht als Einzelobjekt.

 

Schauen wir uns die Lilith-Serie von Anselm Kiefer (zum Beispiel im Kunstmuseum Bonn) an, so führt unser Blick direkt in eine Großstadt mit Hochhäusern, die vom Bösen, nämlich Lilith, der ersten Frau Adams als der Verantwortlichen für den Kindestod, vernichtet worden ist. Ein Bild, das wie ein Jüngstes Gericht auf den Betrachter wirkt, zugleich aber die Modernität von heute und Altem Testament zeigt. Dieses Bild vereint alle jene Problemzonen, die sich im politischen Bereich von Ground Zero abgespielt haben.

 

Zugleich ist es gefüllt mit Erde, Ton, Foto, Reproduktion, Modellen, zum Beispiel kleinen Raketen, die wie Flugzeuge in die Großstadt herabfallen. Damit assoziiert Kiefer zugleich auch Dresden, das von 1945 ebenso wie das der großen Flut als Ereignisse des Schreckens in unserer Welt. Viele andere künstlerische Arbeiten tragen die Komplexität des Geschehens und der Fragestellungen in sich, die nicht nur mit kunsthistorischen Mitteln beantwortet werden können. Dass Ground Zero auch fotografisch nicht das einzige Trümmerfeld auf dieser Welt ist, muss allen Künstlern bewusst sein. Ruanda, Grosny, Angola, Afghanistan, Jugoslawien bezeugen die Globalisierung der Aufmerksamkeit, die mediale Manipulation, weil das Leiden in der Welt ungleich beurteilt wird.

 

Jochen Gerz fragt deshalb in seiner Arbeit zu Ground Zero: „How many people die each day from hunger?“ Baselitz formuliert Zeichnungen, auf denen die Weltkugel als Kopf durch die zwei Beine eines Akrobaten gedreht wird (natürlich auf dem Kopf für den Kopf gemalt). Das, was Ground Zero ins Bewusstsein brachte, schien allen zunächst absolut eine Bilderfindung Hollywoods. Die Wahrheit ist härter ausgefallen. Ein lateinisches Sprichwort sagt: „Wenn die Waffen klingen, schweigen die Musen.“ Die Antwort der Künstler jenseits von Hollywood und Karikatur fehlt noch. Ein neues Guernica gegen den Terror ist zurzeit nicht in Sicht.