Peter Schilinski (1916-1992)
Textauszug von von Rainer Rappmann

PETER SCHILINSKI (23.9.1916 Bertin - 24.12.1992. Wasserburg/Bodensee)

Meine Gedanken und Gefühle waren in den 12 heiligen Rauhnächten deutlich mit ihm beschäftigt, und deshalb möchte ich etwas von ihm erzählen. Sicher liegt es auch daran, daß wir kurz vor Weihnachten im ,,Eulenspiegel" in Wasserburg seines 10-jährigen Todestages gedachten, im ganz kleinen Kreis. Es waren - glaube ich - gerade mal fünf Freunde gekommen. Aber egal. Unsere Gespräche und Beiträge riefen mir Peter wieder lebendig in Erinnerung: Er, der gehbehinderte Feuerkopf, der mit einer unglaublichen Treue für den Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus (R. Steiner) die Fackel trug und das in einer Zeit (nach dem Zweiten Weltkrieg), als man an einer Hand abzählen konnte, wer noch damit lebte und arbeitete. Ich muß es ganz deutlich aussprechen, damit man auch die Dramatik bemerkt, die damit verbunden ist: Schilinski trug diese Flamme - und das fast allein - in einer Zeit, in der die allermeisten etwas ganz anderes im Sinn hatten, nämlich den Krieg und die Nazigreuel zu vergessen und sich um den persönlichen Aufstieg und Wohlstand kümmerten.

Was tat Peter? Er trampte zwischen 1945 und 1952 (1950 wurde ich gerade mal geboren) durch die BRD auf der größtenteils vergeblichen Suche nach Menschen, die sich aktiv mit der Dreigliederung auseinandersetzen. Was habe ich damit zu tun? Nun, Ich erkannte um 19717 72 herum, daß genau dieser Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus mein Lebensimpuls sein würde, nachdem in den Zeiten des allgemeinen studentischen Protestes und danach vorwiegend marxistische Ideen „verhandelt" wurden. Als ich Peter 1973 in Achberg kennenlernte, war er eigentlich für mich, den damals 22-jährigen, bereits Teilnehmer der „Opa"generation. Heute bin ich fast schon genau so alt, wie er damals war.

Ich sehe ihn noch vor mir, als er am Morgen des ersten Tages (Sommerkongreß „Fünf Jahre Prager Frühling") ans Rednerpult in der Achberghalle trat, um einen kurzen Nachruf zu sprechen für einen „alten Freunde", der am Abend zuvor auf der Dorfstraße (von einem Auto erfaßt) zu Tode gekommen war. Peter warf seine ganze Wärme und Menschlichkeit in die Waagschale und war so geistesgegenwärtig, diesem an sich schreckliche Ereignis eine positive Richtung zu geben, dergestalt, daß er es gar als „geistiges Opfer" für den neuen Aufbruch charakterisierte, über den er sich so riesig freute; denn es waren an die 500 Menschen zu diesem Jahreskongreß „Dritter Weg" gekommen.

Wie auch immer - trotz des anwärmenden Eindrucks hatte ich mich für Joseph Beuys' Seminar „Kunst im Wirtschaftsbereich" entschieden (worüber ich heute jedoch nicht berichten will, das ist bereits an anderer Stelle geschehen), aber Schilinski keineswegs aus den Augen verloren, vielmehr auch seine Seminare besucht und den Kontakt gesucht. Dabei stand für mich sein Dreigliederungsverständnis keineswegs im Vordergrund. Diesbezüglich habe ich von Schmundt vermutlich „mehr" gelernt. Vielmehr verkörperte Peter eine Qualität, wie man sie gar bei anthroposophisch orientierten Menschen (oder auch anderen) nicht sehr häufig vorfindet: seine mitmenschliche Wärme und Fähigkeit zu emphatischer Anteilnahme. Diese Fähigkeit wurde noch verstärkt dadurch, daß er selbst in der größten Hitze und im Hochsommer eine Pelzmütze und oft auch eine Wolljacke trug: Wärmehaushalt! Er war darum bemüht, den Menschen, wie er eben war, anzunehmen und anzuerkennen. Eine Selbstverständlichkeit? Keineswegs. Gerade damals trugen einige Dreigliederungsaktivisten die Nase sehr hoch und umgaben sich mit Professoren und anderen Titeln. Ihnen war die Art von Schilinski ein Greuel. In ihren Augen umgab er sich mit Abschaum: Kommunisten, Anarchisten, Hippies, Alternative, denen schon damals ein entspr. Klang und Geruch anhaftete.

Was bleibt? Ohne Peter Schilinski hätten wir heute weder den „Omnibus für Direkte Demokratie in Deutschland" noch „Mehr Demokratie" noch sonst was. (Ich weiß sehr wohl, daß Ideen ganz einfach auch in der Zeit liegen und „nur" gepflückt und aufgelesen werden müssen.) Zu dieser Behauptung versteige ich mich gerne; denn es war einzig und allein Peter Schilinski, der aus Steiners „Kernpunkten" die Volksabstimmung herauslas, die dort zwar der Sache nach, aber nicht dem Wort nach darinnen steht. In Peters Worten: „Volksabstimmung über Grundrechte nach vorhergehender freier Information". So gründete er bereits 1951 in Sylt eine Bürgerinitiative, den „Bund für Volksabstimmung über die Wiederbewaffnung" der BRD. Er war es, der Steiners Ideen für seineZeit neu übersetze und verständlich machen wollte, so, daß sie jeder-Mann verstehen und einsehen konnte.

Joseph Beuys war seit den 60er Jahren Leser des „Jedermann", der Zeitschrift von Peter. 1970 gründete er die ORGANISATION FÜR NICHTWÄHLER und ein Jahr später das „BÜRO FÜR DIREKTE DEMOKRATIE" in Düsseldorf und 1972 in Kassel auf der documenta 5. Sein Dreigliederungsverständnis war bis ]973 ganz geprägt von der Schilinski'schen Leseart (vgl. die Ausarbeitung in *). Peter Schilinski wirkte - anders als Beuys und Dutschke - weniger in der Öffentlichkeit als vielmehr im Untergrund, zunächst in den 50er Jahren auf Sylt und später in den 60ern in Hamburg und Berlin (zunehmend auch im Rahmen der studentischen Proteste und im Kontakt mit Rudi Dutschke), ab den frühen 70ern in Achberg und dann ab 1976 in Wasserburg am Bodensee. Man kann sagen, daß er den Willens- und Wärmepol geradezu verkörperte für einen Impuls, der schließlich heute mit der Direkten Demokratie auf Bundes- und Europaebene gelandet ist und jetzt für die Öffentlichkeit immer sichtbarer wird. (Gerade höre ich, daß die CSU in. Wildbad Kreuth vorschlägt , die EU-Erweiterung über eine Volksabstimmung absegnen zu lassen! Wer würde dabei ahnen, daß Peter Schilinski dahinter steckt? Daß er dies tut, ist für mich außer Zweifel.)

Peter war - um einen Titel von Joseph Beuys abzuwandeln -die „Wärmepumpe am Arbeitsplatz". Ihn kennt zwar heute kaum noch jemand. Aber was bedeutet das schon? Wir stehen (nicht nur) auf seinen Schultern, sondern auf den Schultern von (allesamt) Riesen, die im geschichtlichen Vorlauf wichtige Schritte getan haben. Das gab für mich die Motivationsgrundlage dafür ab, über solche Menschen, wie Peter Schilinski, die drohen in Vergessenheit zu geraten, einen Gedenkband zu publizieren. *)

Peter Schilinski hat nur gewirkt - und das will für mich sehr viel heißen - durch seine (Mit)-Menschlichkeit und durch sein jedem Scheingefecht abholdes Ringen. Gerade sein cholerisches Temperament hat ihm das äußerst schwer gemacht. Immer wieder hat er sich zur Haltung „Zeige Deine Wunde" durchgerungen und sich nackt und unbeschützt vor uns hingestellt, um zu sagen: Der Gaul ist mit mir durchgegangen. Entschuldigt! Ich arbeite daran. So bin ich nun einmal geformt. Politische Arbeit und persönliche Schulung waren ihm zwei Elemente, die ganz eng miteinander zusammenhängen und ineinander übergehen. Bei den Pädagogen kann man das noch einsehen. Aber bei Menschen, die dezidiert „politisch" wirken wollen ... ?

Kurz vor seinem Tod habe ich Peter noch einmal besucht, wohl genau in der Zeit als sich auch u. a.,Werner Kuhfuss bei ihm verabschiedete. Der berichtet in „E/ne Botschaft" **) folgendes:

,,/m Nachbild will er mir wie in Wolle und Wärme - es war außerordentlich geheizt in der kleine Stube - verpuppt erscheinen, äußerlich bewegungslos daliegend auf dem kargen Bett. Kerzenlicht tauchte alles in milde, gelbliche Ok-kertöne ... Wir kamen auf Günther Vogt zu sprechen in Schleswig, den alten Weggenossen für ihn aus der Nachkriegszeit und langjährigen Seemann und Eurythmisten. Damals, so sagte Peter mir, nahm er es diesem krumm, daß er die Kunst, nicht die politische Agitation gewählt hatte. Sag' ihm, wenn ichheute wieder an diesem Punkt stünde, so würde ich auch die Kunst wählen und neu damit anfangen. Von ihr gehen die eigentlichen Wirkungen für die Zukunft aus ...

Es ist vielleicht das zu sehen, daß also gerade im Unerlösten und Nichtgelungenen der Bewegungskeim der neuen, der zukünftigen Sozialen Kunst zu erspüren wäre: Wer unermüdlich und schmerzlich auch Glieder regt, die er noch gar nicht hat, dem werden sie gewiß einst tänzerisch wachsen."

Damit sind wir fast ungewollt bei der Sozialen Plastik und bei einem seiner wichtigsten Protagonisten gelandet: Joseph Beuys. Der sagte mir einmal in einen Gespräch über Achberg:

„Wenn man sagt man hat in Achberg etwas anderes gesehen, dann muß man die ganze Geschichte noch mal zurückrepetieren ... (und) sagen: Wer hat es zuerst gemacht? Peter Schilinski... Dann sieht man aber auch die wichtige Funktion von Peter Schilinski. (Solche Leute wie er) ... haben eigentlich den soliden Boden bereitet." Joseph Beuys 14.11.1975 *) S. 38

Ich danke Peter für das Tragen der Fackel und das „Schützen der Flamme" (Beuys ***), damit es andere, jüngere weitertun können.

Rainer Rappmann ,88239 Wangen/Allgäu

 

Literatur: