Rainer Rappmann vom Argenthal

Direkte Demokratie und Dreigliederung

„ Die Direkte Demokratie wird von vielen für einen Kernpunkt der sozialen Dreigliederung gehalten. Gerade sie versäumen es aber, die soziale Dreigliederung zu einem Kernpunkt der Direkten Demokratie zu machen." (Sylvain Coiplet in Trigonal, 2/2003) Diese Aussage, durch die eine große Enttäuschung zum Ausdruck kommt, manifestiert ein weit verbreitetes Mißverständnis, daß nämlich die Dreigliederung ein Programm, gar ein Rezept zur Neuordnung des sozialen Lebens sei. Weiß Gott und sei Dank: Das ist sie nicht. Vielmehr liegt sie dem sozialen Leben zugrunde wie die physiologische Dreigliederung von Wurzel, Blatt/Stengel und Blüte der Pflanze als Idee zugrunde liegt. Die Dreigliederung ist kein Rezept, sondern ein Urbild.

Bereits Rudolf Steiner, der als der Entdecker der Dreigliederung angesehen werden muß, hat bereits 1922, also drei Jahre nach seinem politischen Kampf auf dem Ost-West-Kongreß in Wien davon gesprochen, daß er von allen(!) Seiten mißverstanden worden sei. Man habe das, was er zur Illustration verwendet habe, als das eigentlich zu Verwirklichende angesehen. Man darf nicht vergessen, daß jugendbewegte Zeitgenossen und Nachfolger von Rudolf Steiner dessen Arbeit nicht nur existentiell aufgegriffen, sondern auch weiterentwickelten haben. Dazu gehört neben Wilhelm Schmundt und Joseph Beuys auch Peter Schilinski. Das sind eigentlich die drei, die Steiner in den Jahrzehnten der 50er, 60er, und 70er Jahren auf die Höhe der Zeit gehoben haben. Ich möchte das am Bespiel der Direkten Demokratie erläutern.

Schilinski hatte nach dem II. Weltkrieg „Die Kernpunkte" von Rudolf Steiner entdeckt. Dort wird davon gesprochen, daß das Rechtsleben unter dem Aspekt der Gleichheit zu betrachten sei, und zwar vor dem, aber auch hin z u dem Gesetz. D.h. Steiner folgert aus dem Dreigliederungsurbild, daß alle Menschen das Recht gestalten und vor ihm gleich sind. Er spricht aber nicht vom Volksentscheid. Die logische Konsequenz jedoch ist, daß, wenn man dieser Maxime gerecht werden will, man eigentlich keine Delegierten, sprich Parteivertreter mehr wählen kann. Sein eigenes Recht kann man nur selbst wahrnehmen. So kam Peter Schilinski schon schnell auf die Idee der Volksabstimmung, in deren Ausübung jeder Mensch gleichermaßen seine Stimme in die Waagschale werfen kann. Er gründete bereits 1951 in Sylt eine Bürgerinitiative, den ,, Bund für Volksabstimmung über die Wiederbewaffnung " der BRD. Alle nachfolgenden Projekte in Sache Direkte Demokratie sind letztlich darauf aufgebaut und weiterentwickelt worden: Joseph Beuys' „Büro für Direkte Demokratie durch Volksabstimmung" genauso wie Wilfried Heidt's Aktion Volksentscheid oder Thomas Meyers „Idee" (Initiative Demokratie entwickeln) später Mehr Demokratie, oder Brigitte Krenkers Projekt „Omnibus für Direkte Demokratie in Deutschland". Wer diese Entwicklung verschlafen hat, wird sich immer darüber beklagen, wo denn die Dreigliederung dabei sei. Sie ist natürlich in den Köpfen und Herzen bewußter Menschen, die heute die Direkte Demokratie und die Dreigliederung vertreten. Wie frei und selbstständig das Geistesleben und wie brüderlich das Wirtschaftsleben sein kann und möge, das fällt ja nicht - auch nicht als Dreigliederungsverständnis - vom Himmel. Das muß durch alle Menschen errungen werden und letztlich auch durch viele Volksabstimmungen festgeschrieben werden. Es wird immer konstatiert, man könne über Fragen des Geisteslebens, also über Schulen, Hochschulen, Presse, Rundfunk, Fernsehen, Kirchen, Religion, und Einrichtungen der Kunst nicht abstimmen, da das Geistesleben ja nach dem Gesichtspunkt der Freiheit zu gestalten sei. Ja gut. Aber wer legt das denn fest? Gebetsmühlenartige Wiederholung, daß dies die Erkenntnis Rudolf Steiners und ja wohl auch die Wahrheit sei, nützen lediglich einem fundamentalistischen Standpunkt. Der aber ist das Gegenteil von Freiheit, die aufbaut auf dem freien, selbstverantwortlichen Individuum, das gestalten kann, und zwar zusammen mit seinen Schwestern und Brüdern. Dabei sei die Wahrheit bestenfalls eine Richtschnur, eben ein Urbild, aber keine Handlungsanweisung. Wenn einerseits die Volksinitiative für ein freies, selbstverantwortliches Schulwesen in Schleswig-Holstein von Henning Kullak-Ublick gelobt, aber andererseits die Bewegung für Direkte Demokratie kritisiert wird, so ist das ein Widerspruch. Denn diese Initiative macht genau das, was abgelehnt wird. Sie versucht das Bewußtsein und die Gestaltungskraft der Menschen zu wecken und zielt letztlich auf eine Mehrheit für ein freies, selbstverwaltetes, gleichberechtigtes Schulwesen ab. Die Erkenntnis für diese Initiative kommt zwar aus dem Dreigliederungsurbild, an dem Weg dahin führt jedoch gar nichts an der Direkten Demokratie vorbei.

Literatur über die „entwickelte Dreigliederung" (Beuys):

* Rainer Rappmann (Hrsg.): DENKER, KÜNSTLER, REVOLUTIONÄRE, Beuys, Dutschke, Schilinski, Schmundt - Vier Leben für Freiheit, Demokratie und Sozialismus

* Wilhelm Schmundt: Die Aufgabe Mitteleuropas - Die Lehre vom sozialen Organismus in seiner Freiheitsgestalt als Brückenschlag zwischen Ost und West

* Joseph Beuys: Kunst = Kapital, Achberger Vorträge

alle FIU-Verlag, Wangen/Allgäu, Vgl. auch die Internet-Seite: www.FIU-Verlag.com