Joseph Beuys
Aufruf zur Alternative
Frankfurter Rundschau, Samstag 23. Dezember 1978 (!) Seite II
Dieser Aufruf richtet sich an alle Menschen des europäische Kultur- und Zivilisationskreises. Der Durchbruch in eine neue soziale Zukunft kann schon gelingen, wenn in den europäischen Zonen eine Bewegung entsteht, die durch ihre Erneuerungskraft die Mauern abträgt zwischen Ost und West und die Kluften zuschüttet zwischen Nord und Süd. Der Anfang wäre gemacht, wenn - sagen wir - die Mitteleuropäer sich entschließen würden, in der Gedankenrichtung dieses Aufrufes zu handeln. Wenn wir heute in Mitteleuropa anfingen, einen den Zeiterfordernissen gemäßen Weg des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens in unseren Staaten einzuschlagen, hätte dies ein starke Ausstrahlung auf jeden anderen Ort in der Welt.Vor der Frage: Was können wir tun? muß der Frage nachgegangen werden: Wie müssen wir denken?, damit der phrasenhafte Umgang mit den höchsten Idealen der Menschheit, die alle Parteiprogramme heute verkünden, nicht weiterhin als Ausdruck des krassen Gegensatzes zur Lebenspraxis unserer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Wirklichkeit sich fortpflanzt.
Vor kopflosem Umsteigen wird gewarnt. Beginnen wir mit der Selbstbesinnung. Fragen wir nach den Gründen, die uns zur Abkehr vom Bisherigen Anlaß geben. Suchen wir nach den Ideen, die uns die Richtung der Umkehr weisen.
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Um auf Anhieb die Umkehr herbeizuführen, sind es jetzt noch zu wenige. Die Zahl der Einsichtigen muß vergrößert werden. Wenn es gelingt, das hiemit Angeregte auch politisch-organisatorisch zu verdichten und schließlich in einer konzertierten außerparlamentarischen-parlamentarischen Aktion zum Einsatz zu bringen, hat der Aufruf sein Ziel erreicht. Es geht also um eine gewaltfreie Revolution, eine auf Zukunftsoffenheit angelegte Alternative.
Die Symptome der Krise
Die Probleme, die uns zur Abkehr vom Bestehenden allen Anlaß geben, können als bekannt vorausgesetzt werden. Es mag genügen, in einer stichwortartigen Zusammenfassung die schwerwiegendsten Faktoren der Gesamtproblematik vor Augen zu rücken.Die militärische Bedrohung
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Die ökologische Krise
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Die Wirschaftskrise
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die Bewußtseins- und Sinnkrise
..Die Ursachen der Krise
Auf den Kern der Sache zurückgeführt, kann gesagt werden, daß zwei Strukturelemente der im 20. Jahrhundert zur Herrschaft gekommenen Gesellschaftsordnung die eigentliche Ursachen der ganzen Misere darstellen: Das Geld und der Staat, das heißt den Rollen, die dem Geld und dem Staat in diesem System eingeräumt werden. Beide Elemente sind zu den entscheidenden Machtmitteln geworden. Die Macht hat, in wessen Händen das Geld und/oder der Staat sich befindet. Der Geldbegriff des Kapitalismus ist ebenso Grundlage dieses Systems wie der totalisierte Staatsbegriff die Grundlage des Kommunismus, wie wir ihn bislang kenengelernt haben, ist.Mittlerweile sind diese beiden Begriffe in den konkreten Erscheinungen der bestehenden Verhältnisse im Westen und Osten wechselseitig assimiliert. Im Westen schreitet die Tendenz der Ausdehnung der Staaatsfunktion voran, während im Osten Faktoren des Geldmechanismus, wie der Kapitalismus ihn entwickelt hat, eingeführt worden sind.
.....Fazit: Kapitalismus und Kommunismus haben die Menschheit in eine Sackgasse geführt.
So unbestreitbar dies ist und so sehr sich diese Einsicht verbreitet, so wenig wäre uns geholfen, wenn noch keine vernünftigen Lösungsmodelle, also Ideen für eine freie, demokratische, gegenüber Mitmensch und Naturgegebenheiten solidarische, von Weitsicht und Zukunftsverantwortung für das Ganze getragene Perspektiven erarbeitet worden wären. Solche Lösungsmodelle sind erarbeitet. Von einem bestimmten soll im folgenden berichtet werden.Der Ausweg
Wilhelm Schmundt hat als die zentrale Notwendigkeit einer fundierten Alternative das "ins-Rechte-Denken der Begriffe" gefordert. Dies meint auch Eugen Löbl, der Wirtschaftstheoretiker des Prager Frühlings, wenn er von der unaufschiebbaren "Revolution der Begriffe" spricht. Schmundt hat einem seiner Bücher den Titel "Revolution und Evolution" gegeben, und er will damit sagen: "Erst wenn wir die Grundzusammenhänge des sozialen Organismus neu überdenkend die "Revolution der Begriffe" geleistet haben, wird damit der Weg frei für eine Evolution ohne Zwang und Willkür.
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Beim Entwurf der Alternative, d. h. des Dritten Weges, von dem als erste kommunistische Partei jetzt auch die KPI in posiiver Weise spricht, gehen wir vom Menschen aus. Er ist der Bildner der sozialen Plastik und nach seinem Maß und Wollen muß der soziale Organismus eingerichtet sein.
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.....Der Funktionswandel des Geldes
So wie sich beim Übergang zur integralen Wirtschaft im Wesen der Arbeit ein tiefgreifender Wandel vollzogen hat, so ist auch bei den Geldprozessen eine Metamorphose eingetreten. Doch wie die tauschwirtschaftlichen Begriffe für die Regelung der Arbeits- und Einkommensverhältnisse beibehalten worden sind, blieben sie auch für die Gestaltung des Geldsystems bestimmend. Dadurch konnte sich das Geld nicht ordnend in den sozialen Organismus eingliedern.Dies hat Gründe geliefert, viele Geldanalysen unter psychologischen, soziologischen, ökonomietheoretischen und anderen Gesichtspunkten zu verfassen. Doch sie alle haben wenig geholfen. Die Macht des Geldes blieb ungebrochen. Warum? Weil wir den Geldbegriff nicht geändert haben, als es entwicklungsgeschichtlich erforderlich gewesen wäre.
Was hat zu dem bislang nach ignorierten Funktionswandel des Geldes geführt? Mit dem Auftreten der Zentralbanken in der modernen Geldentwicklung ist dieser Wandel eingetreten. Das Geld trat heraus aus der der Welt der Wirtschaftswerte, als deren universelles Tauschmittel es vorher gedient hatte.
Die neue Art der Geldemission und Geldleitung durch die Institution der Zentralbank führte zur Ausbildung eines Kreislaufsystems im sozialen Organismus, durch welches, vergleichbar dem Evolutionsschritt in der Biosphäre von einem niedrigeren zu einem höheren Organismus, das soziale Ganze eine komplexere Daseinsform angenommen hat. Das Geld konstituierte ein neues Funktionssystem. Es wurde zum Rechtsregulativ für alle kreativen und konsumtiven Prozesse.
Auf der Produktionsseite benötigen die Unternehmen für die Erfüllung ihrer Aufgaben Geld. Sie bekommen es vom Bankensystem als Kredit (Zins, heute mit dem Kreditbegriff gekoppelt, kommt aus einem wesenswidrigen Geldverständnis).
In der Hand der Unternehmen ist Geld = Produktionskapital, ein Rechtsdokument. Es verpflichtet die Unternehmen zum Einsatz der Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter in der Arbeit.
Kommt das Geld als Einkommen in die Verfügungsberechtigung der Tätigen, ändert es seine Rechtbedeutung. Als Konsumkapital berechtigt es die Verbraucher zum Erwerb der Konsumwerte.
Damit fließt das Geld zum Produktionsbereich zurück und ändert ein letztes Mal seine Bedeutung. Jetzt ist es Geld ohne Beziehung zu einem Wirtschaftswert. Als solches berechtigt es die Unternehmen, an die es gelangt, zu nichts. Es werden damit die Kredite abgelöst, die Konten der Unternehmen bei den Kreditbanken ausgeglichen. ....
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Ohne eine einzige staatsbürgerliche Maßnahme oder steurpolitische Akrobatik führt die Anerkennung des gewandelten Geldbegriffes hingegen zur Aufhebung sowohl des Eigentums- als auch des Profitprinzips im Produktionsbereich.Und was passiert mit den Börsengeschäften, der Bodenspekulation, dem Zinswucher, der Inflation? Sie verschwinden ebenso wie die Geisel der Arbeitslosigkeit. Die Aktienwelt entschläft über Nacht, ohne daß auch nur ein Zahnrad deswegen nicht mehr laufen würde. Und die Aktionäre, die Spekulanten, die Großgrundbesitzer? Werden sie ihre heiligen Reichtümer der Menschheit auf dem Opferaltar der anhebenden neuen Zeit darreichen? Wir werden sehen. Jedenfalls wird jeder seinen Platz im sozialen Leben finden, wo er seine Fähigkeiten frei, produktiv und sinvoll für das Ganze einsetzen kann.
....Die Freiheitsgestalt des soziologischen Organismus
....Das Recht der freien unternehmerischen Initiative hat jeder Mensch. Denn der Mensch ist ein initiatives Wesen. Nötig ist, daß die Arbeitsleiter die Fähigkeit haben, ihre Mitarbeiter nach deren Fachtüchtigkeit und Sachverstand zu berufen. Aus dieser Funktion werden sie jedoch weder materielle Privilegien noch irgendwelche Form von nicht demokratisch legitimierter Macht haben können.
So ist in dem Bild der Grundzüge eines Dritten Weges das freie Unternehmen in einer selbstverwalteten Wirtschaft und einer selbstverwalteten Kultur die demokratische Basiseinheit eine nachkapitalistischen und nachkommunistischen neuen Gesellschaft des realen Sozialismus.
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Was können wir für die Verwirklichung der Alternative jetzt tun?
Wer sich dieses Bild der evolutionären Alternative vor Augen führt, hat ein klares Grundverständnis von der sozialen Plastik, an welcher der Mensch als Künstler formt.
Wer sagt, daß es eine Veränderung geben muß, aber die "Revolution der Begriffe" überspringt und nur gegen die äußeren Verkörperungen der Ideologien anrennt, wird scheitern.
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An Informationen und Mitarbeit an den Projekten "Free International University", "Aufbauintiative Aktion Dritter Weg" und "Union für die Neue Demokratie" interessierte Leser mögen sich wenden an:
- Free International University
8991 Achberg, Tel 08380/471
4000 Düsseldorf 11, Drakeplatz 4
Ende des Oiginal-Textes
es existiert noch der Verlag:
http://www.fiu-verlag.com :::[Die ursprüngliche Art der Hervorhebungen wurde auf Unterstreichungen geändert und farbliche Hervorhebungen wurden von mir eingefügt G.M]
Anmerkung von Wilfried Heidt, 5.2004 ( FIU-Achberg)
>Institut für Zeitgeschichte und Gesellschaftsentwicklung im Internationalen Kulturzentrum < INKA
In keiner der zahlreichen Publikationen bisher befriedigend zur Darstellung kommt, aus welchen Quellen Beuys dabei hauptsächlich schöpfte, woher er auf diesem Gebiet seine wesentlichsten Anregungen nahm und an welchen Projekten [außer seinen Beitragen zu den Documenta-Veranstaltungen u. a.] er beteiligt war. Bei der Gründung des Achberger Zentrums [1971], ander Beuys mit seiner Unterstützung bereits beteiligt war, und im Hinblick auf den Beginn unserer konkreten Zusammenarbeit mit ihm vor drei Jahrzehnten [1973/74] ist festzustellen:
Der >Aufruf zur Alternative < -veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau am 23 12.78- wurde am 15.12 1978 in einer Nachtsitzung in Düsseldorf von Joseph Beuys zusammen mit Wilfried Heidt und Peter Schata redigiert.
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